François Gérard (1770–1837): Sainte Thérèse, 1827 Foto: Wikipedia

Die grosse Mystikerin

14.10.2015

Teresa von Avila (1515 bis 1582)

Teresa von Avila kam am 28. März 1515 in Kastilien zur Welt. Ein halbes Jahrtausend trennt uns von dieser gescheiten, zu tiefer Freundschaft fähigen Frau, und bis heute spricht sie durch ihre Werke mit uns. Was hat Teresa Frauen, auch Männern unserer Zeit zu sagen? Theologin Isabelle Deschler gibt Antworten. In Bern wird Prof. Mariano Delgado, Fribourg, am 21. Oktober im aki Bern die grosse Mystikerin würdigen.


«pfarrblatt»: Teresa kam vor 500 Jahren, am 28. März 1515 zur Welt und spricht mit uns bis heute durch ihre Schriften und scharfsinnigen Sätze. Welche sind Ihnen wichtig?

Isabelle Deschler: Etwa Teresas Lied-Refrain «Suche dich in mir», eine Aufforderung, Gott in sich und sich in Gott zu suchen. Oder das Gedicht «Nada te turbe», das wohl von ihrem Weggefährten Johannes vom Kreuz stammt und das sie stets auf einem Zettel bei sich trug: Nichts soll dich ängstigen, nichts verwirren. Spanien durchlebte um 1500 turbulente Zeiten. Adelszweige kämpften gegeneinander, die Inquisition brachte Unsicherheit und Angst vor Denunziation, das Land eroberte die neue Welt. Auch die heutige Zeit ist von Ängsten besetzt – oft geschürten und politisch ausgenutzten Ängsten. Da können wir mit Teresa Gegensteuer geben: Nada te turbe!

Wo kommt Ihnen Teresa als Mensch, als Frau nahe?

Ich muss gestehen: Beim ersten Lesen ihrer Schriften hat mich vieles geärgert – etwa dass sie sich als Frau immer wieder herabsetzte. Einiges kammir auch zu kompliziert vor. Beim wiederholten Lesen merkte ich dann, dass das Komplizierte im Kontext von Person und Zeit durchaus seinen Sinn hat.

Wie war Teresa?

Sie muss sehr lebhaft gewesen sein und in vielembestimmter als ich – direkter, beharrlicher, selbstsicherer. Sonst hätte sie kaum ihren Karmelitenorden reformieren und neue Klöster gründen können. Sie hatte aber auch weniger starke, sehr menschliche Seiten, die genauso zu ihr gehörten und die sie selber übrigens nie verschwieg. Viele Interpreten haben Teresa von Avila später auf einen Sockel gestellt. Liest man in ihren Schriften, stellt man fest, dass sie alles andere als abgehoben war.

Welche «sehr menschlichen Seiten» meinen Sie?

In ihrem autobiografischen Werk «Vida» beschreibt sie ihre Jugend, etwa ihre Leidenschaft für Ritterromane, die schon ihre früh verstorbene Mutter gern gelesen hatte. Oder den starken Einfluss ihrer Cousine, die vor allem an Äusserlichkeiten, schönen Kleidern und hübschen Männern interessiert war. Typisch für ein Teenageralter, würde man heute sagen. Für mich wird Teresa dadurch sehr sympathisch. Auch ich habe als Mädchen gern Schundromane gelesen.

Wie unkonventionell war Teresa für ihre Zeit?

Sie war bei weitem nicht allein. Sie hatte Vorgängerinnen. María de Cazalla etwa war eine Generation älter sie, eine verheiratete Frau mit grossem Wissen. Sie interpretierte die Bibel und unterwies eine Gruppe von Frauen und Männern, was eigentlich für Frauen verboten war. Teresa hatte auch Weggefährtinnen. Sie schreibt, dass die Gründung ihrer Reformklöster eine Idee war, die im Kreis von Mitschwestern entstand. In Zeiten der Zweifel und Anfeindungen hielt eine Freundin weiterhin an dieser Idee fest. Ohne diese Unterstützung wäre vielleicht nie ein Kloster entstanden. Das erste eröffnete Teresa 1562, das letzte kurz vor ihrem Tod 1582 – insgesamt gegen 30 Reformklöster der so genannten «unbeschuhten kontemplativen Karmeliten».

Teresa pflegte eine innige Freundschaft zu Gott. Ihr Weg dazu war das innere Beten. Was ist darunter genau zu verstehen?

Teresa gibt uns diesbezüglich wenig Rezepte. Vielmehr schreibt sie immer wieder vom Zustand, mit Gott, ihrem besten Freund, im Gespräch zu sein. Diese Art des Betens war nicht üblich für ihre Zeit. Mittlerweile kennt jedes Kind das innere Beten: ein stilles Bei- Gott-Sein mit Gedanken und Gefühlen.

Analytisch begabt, durchsetzungsstark, fähig zu grosser Freundschaft, – Teresa hatte viele Talente. Welches beeindruckt Sie am meisten?

Die Fähigkeit zur Freundschaft, die sie als gegenseitige Beratung, Begleitung, Stärkung verstand. Sie liess sich Zeit für Beziehungen, und gleichzeitig wuchsen auch ihre Anliegen, ihre Beziehung zu Gott. Für mich eine Aufforderung, Freundschaften zu suchen, mit denen ich an Substanz gewinne. Wir bleiben viel zu oft an der Oberfläche und haben zu wenig Mut, mit unseren Freunden und Bekannten über das zu reden, was uns wirklich beschäftigt.

Interview: Pia Seiler, Lassalle-Haus/Jürg Meienberg

Isabelle Deschler leitet in Aarau die Fachstelle «Pastoral bei Menschen mit Behinderung»

Hinweise
Das Lassalle-Haus widmet der Mystikerin vom 5. bis 8. November die Jubiläums-Tagung «Genie der Freundschaft» im Kloster Bethanien, St. Niklausen OW (Referenten: Mariano Delgado, Gerda Riedl, Irene Leicht u.a.
Infos: www.lassalle-haus.org
In Bern: «Den Männern gehorchen, wären sie… auch noch so grosse Esel!» Mittwoch, 21. Oktober, 19.30 im aki Bern. 500 Jahre Teresa von Avila: selbstbewusste Frau und eigenständige Beterin. Vortrag und Gespräch mit Prof. Mariano Delgado. Eintritt frei.