Kritik und Aktualität: Ausstellung zu Fragen rund um das Verdingwesen, die Armenfürsorge und -bekämpfung in der früheren «Armenstube Schwarzenburgerland». Foto: zVg
Die Kirche stand auf Seite der Behörden
Eine Ausstellung in Schwarzenburg widmet sich den vielen Verdingkindern, die in dieser Region gelebt haben. Für «pfarrblatt»-LeserInnen gibt es eine exklusive Führung!
Überdurchschnittlich viele Verdingkinder lebten bis vor wenigen Jahrzehnten im Schwarzenburgerland. Ihnen ist nun eine Ausstellung im Regionalmuseum Schwarzwasser in Schwarzenburg gewidmet.
Wer heute mit der S-Bahn nach Schwarzenburg fährt, würde nicht ahnen, dass die Region einst die Armutskammer der Schweiz war. Armensässige, Wanderhandwerker, Jenische und über-durchschnittlich viele Verdingkinder lebten hier. Das waren jene Mädchen und Buben, die den Eltern unter Zwang weggenommen und bei einer Pflegefamilie untergebracht wurden. Die Fremdplatzierungen sollten später zu einer besseren Lebenssituation der Kinder führen.
Um die Geschichte solcher Fremdplatzierungen handelt es sich bei der aktuellen Ausstellung «Verdingt» im Regionalmuseum Schwarzwasser in Schwarzenburg. Eine Quintessenz lautet: Die Aufnahme der Pflegekinder geschah selten aus Nächstenliebe, sondern war schlicht ein Kostenfaktor. Pflegefamilien waren für den Kanton günstiger als Jugendheime und erhielten Subventionen für Kost und Logis. Eine echte Verbesserung der Lebenssituation war nur bei wenigen Kindern die Folge. Hunderttausende Kinder wurden vom 19. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre schweizweit verdingt. Ländliche Kantone wie der Kanton Bern hatten einen hohen Bedarf an billigen Arbeitskräften. Vor dem Ersten Weltkrieg wurden hier rund zehn Prozent aller Kinder unter 14 Jahren verdingt – ein Rekord.
Benachteiligungen allenthalben
Eindrücklich zeigt der grösste Raum die Lebenswelt der Kinder zwischen Familie, Schule und Arbeit. «Auf den ersten Blick unterschied sich die Situation der Verdingkinder kaum von jener der anderen Söhne und Töchter», erläutert Projektleiter Simon Schweizer. Alle lernten und arbeiteten und hatten zu Hause ihre Aufgaben, aber in der familieninternen Hackordnung nahmen sie den letzten Platz ein: Sie arbeiteten länger und härter, und – besonders gravierend – sie wurden in der Schule benachteiligt. Laut Simon Schweizer besuchten sie die obligatorischen neun Jahre Volksschule, erhielten aber kaum Chancen für die Sekundarstufe. «Für eine spätere Berufslehre war die Sek praktisch die Voraussetzung.» Und so wurden aus Verdingkindern später Aushilfen, Handlanger oder Dienstmädchen. Sie zählten damit zur ärmeren Schicht der Gesellschaft – zu jener Schicht also, in die sie einst geboren und aus der sie gerissen wurden, um eines Tages – angeblich – ein besseres Leben zu führen.
Auf sich alleine gestellt
Die Ausstellung führt die Besucherinnen und Besucher durch thematisch geordnete Räume zu Fragen rund um das Verdingwesen generell, die Armenstube Schwarzenburgerland, die Armenfürsorge und -bekämpfung sowie die Kritik und Aktualität. Hier dürfen Stimmen wie jene des Autoren Carl Albert Loosli nicht fehlen. Auch der Schriftstellerin Rosalia Wenger ist ein ganzer Raum gewidmet, die ihre Erfahrungen akribisch in Notizheften festgehalten und darüber später ein Buch geschrieben hat. Abgerundet wird die Ausstellung mit Porträts von inzwischen älteren Personen aus der Region, die ihre Kindheit verdingt verbrachten. «Man hat uns die Intelligenz genommen,» kritisiert Heinz Mützenberg die fehlenden Bildungschancen. «Ich wurde wie ein Lump behandelt, war immer an allem schuld», wird Zeitzeuge Christian Studer auf einer Ausstellungstafel zitiert. Aber auch positive Aussagen sind zu lesen: So behalten Kurt Gäggeler und seine Familie bis heute gute Kontakte zu seinen Pflegeeltern. Verena (Familienname anonym) kann nach eigenen Angaben «nichts Negatives sagen. Die Kinder der Pflegefamilie waren wie meine Geschwister». Im Grossen und Ganzen waren Verdingkinder jedoch auf sich allein gestellt. Auch die Geistlichen in der ausschliesslich reformierten Region boten selten einen Zufluchtsort und ein offenes Ohr für die Sorgen der Kinder, sondern stellten sich in der Regel auf die Seite der Behörden. Letztere zeigten sich bei Kontrollbesuchen in den Pflegefamilien weitgehend gleichgültig. Umso verdienstvoller ist nun die gut recherchierte und sensibel aufbereitete Ausstellung im Regionalmuseum in Schwarzenburg.
Hannah Einhaus
Exklusive Führung für «pfarrblatt»-LeserInnen
«Verdingt im Schwarzenburgerland»
Am Donnerstag, 31. August, 18.00, im Museum Schwarzwasser in Schwarzenburg.
Besammlung um 17.00 auf der Schützenmatte in Bern, der Transport ist organisiert.
Der gesamte Ausstellungsbesuch ist für «pfarrblatt»-Abonnenten kostenfrei, übrige bezahlen Fr. 20.–.
Melden Sie sich an, die Platzzahl ist beschränkt:
Telefon 031 327 50 50, E-Mail: redaktion@pfarrblattbern.ch
Infos zur Ausstellung: www.regionalmuseum.com