Hans Christoph Bünger (Orgel) und Jan Maak (Sprecher) unterhalten mit Orgelwerken und Texten von Bertolt Brecht.
«Die Kirchenfenster auch mal zum Klirren bringen»
«Orgel trifft …» - Konzertreihe in der Dreif
In der laufenden Berner Konzertreihe «Orgel trifft …» begegnet die Königin der Instrumente verschiedenen, auch ungewohnteren Protagonist:innen. Der Organist Hans Christoph Bünger und der Schauspieler Jan Maak sind daran, den roten Faden für die kommende Begegnung mit Bertolt Brecht zu finden.
Interview: Anouk Hiedl
«pfarrblatt»: Die Orgel der Berner Dreif wird bis Ende Jahr auf bekannte Protagonist:innen treffen. Am 12. Mai ist Bertold Brecht dran, der für seine politischen und gesellschaftskritischen Werke bekannt wurde. Warum er?
Hans Christoph Bünger: Meine Idee war, dass auch ungewohntere Akteur:innen auf die Orgel treffen. Das schafft Aufmerksamkeit und eine Reibungswärme. Dabei dürfen wir die Kirchenfenster durchaus auch mal zum Klirren bringen. Die Kombination von Orgel und Brecht mag auf den ersten Blick ungewohnt erscheinen. In Sachen Menschlichkeit und Gerechtigkeit ist er aber gar nicht so weit von der Kirche entfernt.
Zum Beispiel?
Jan Maak: In Brechts Weihnachtsgeschichte «Das Paket des lieben Gottes» bringen Arbeitslose in Chicago ihre Tage durch und wärmen sich abends am Whisky. Einer von ihnen ist stets etwas abseits. Zu Weihnachten machen sie sich Pseudogeschenke. Für den Aussenseiter schlagen sie drei Seiten notierte Polizeiwachen sorgfältig in eine Zeitung ein und überreichen ihm sein «Geschenk». Beim Auspacken stösst er auf die Meldung, dass der wahre Gauner eines Verbrechens, dessen er bezichtigt wird, gefunden wurde.
Hans Christoph Bünger: Auch Brechts Theaterstück «Der gute Mensch von Sezuan» ist geprägt von der Frage nach den Möglichkeiten, gut zu handeln. Noch heute gilt Jesu Vision, wie wir miteinander umgehen und füreinander sorgen sollen. Würden wir sie mehr beachten, wären wir an einem anderen Ort.
Auf die Frage nach seiner Lieblingslektüre hat Brecht einmal geantwortet: «Sie werden lachen: die Bibel.»
Jan Maak: Das merkt man in seinen Texten immer wieder. Brecht wurde im katholischen Augsburg protestantisch erzogen. Er ging regelmässig zum Gottesdienst, und seine Grossmutter erzählte oft aus der Bibel. Später hat er für seine Figuren und Parabeln Archetypen aus der Heiligen Schrift übernommen – dank seiner Grossmutter hat sich da extrem viel Material in ihm angesammelt, auch für seine Gedichte. Brecht zog seine Gesellschaftskritik aus dem Gegensatz zwischen Theorie und Praxis – zwischen dem, was die Bibel einfordert, und dem, was die Menschen tun.
Wie hatte es Brecht mit der Religion?
Jan Maak: Brecht war kein Atheist, niemals! Auf die Frage, ob es einen Gott gebe, meinte er: «Scheinbar wird ein Gott gebraucht, sonst würdest du mir diese Frage nicht stellen.» Sein Umgang mit der Bibel war kritisch, aber christlich.
Hans Christoph Bünger: In vielen Fragen war ihm die Bibel nah. Allerdings konnte sich Brecht nicht explizit für sie aussprechen, da er für eine ganz andere Klientel schrieb.
Wie haben Sie die Musik für «Orgel trifft … Brecht» ausgewählt?
Hans Christoph Bünger: Ich werde unter anderem Kompositionen von Distler und Hindemith spielen. Beide waren Zeitgenossen Brechts und gingen bei ihrer Arbeit ähnlich vor wie er. Sie orientierten sich an älteren Vorbildern und machten aus barocken Klängen neue Musik auf alten Pfeifen. Hugo Distler etwa schrieb in einer modernen Tonsprache Choralvariationen über eine alte Melodie.
Brechts «Dreigroschenoper» beginnt mit einer Ballade über die Untaten von Mackie Messer*. Kurt Weill setzt in diesem Stück unter anderem ein Harmonium ein …
Hans Christoph Bünger: … Die «Hallelujapumpe», wie der Berner Schauspieler Uwe Schönbeck sie nannte! Eventuell werden wir ein kleines musikalisches Zitat aus der Dreigroschenoper einbauen, der Fokus wird jedoch auf dem Dialog zwischen Text und Musik, Altem und Neuem und Brecht und der Bibel liegen.
Jan Maak: Brecht benutzte vorhandenes Material, veränderte es und verwandelte es in etwas anderes. Wie bei Petrus in der Bibel kommt auch in der «Dreigroschenoper» ein dreimaliger Verrat vor.
Was ist Ihnen für eine gute Textinterpretation wichtig?
Jan Maak: Ich sage mir alle Texte immer laut vor, egal ob Bibel oder Brecht. Bei der Vorstellung versuche ich, einen Text so zu senden, dass er auf eine besondere Weise wirkt, etwas auslöst und sich das Publikum Gedanken dazu macht. Dazu bietet der «Meister» viel Material …
Hans Christoph Bünger: … Und auch die Psalmen geben viel her. Sie zeugen von Not über Trauer und Wut bis hin zu Ekstase. Da steckt viel Theatralik drin.
Jan Maak: Als Protestant mag ich die Showelemente in katholischen Kirchen sehr – den Weihrauch, die Kostüme, das Aufstehen, Niederknien und den Segen am Schluss. In der Universalität dieser Rituale steckt viel Kraft.
Hans Christoph Bünger: Letzthin haben wir die Leute zu Ostern auf vielen Kanälen abgeholt. Von der Sinnlichkeit her ist das immer ein grosses Thema. Auf der Orgel kann man da alles herausholen …
Jan Maak: … Was für eine tolle Waffe!
Braucht es für «Orgel trifft …» einen Bezug zum Glauben?
Hans Christoph Bünger: Ich begleite Gottesdienste auf der Orgel, seit ich zwölf bin. Mein Glaube drückt sich daher immer sehr stark in der Musik aus, die ich in Gottesdiensten und Konzerten spiele. Ich bin überzeugt, dass Musik Spiritualität hervorrufen kann – nicht nur in der Kirche. Auch Kirchenferne können sich von «Orgel trifft …» angesprochen fühlen. Jede:r kann kommen, ohne irgendetwas zu müssen. Gottesdienste und Konzerte schaffen Gemeinschaft, Konzentration und Sicherheit. Das ist ein guter Rahmen für Musik.
«Orgel trifft ... Bertolt Brecht»
Konzert mit Texten von Bertolt Brecht und aus der Heiligen Schrift sowie Orgelwerken von Distler, Hindemith, Scheidemann und Scheidt. Mit Jan Maak (Sprecher) und Hans Christoph Bünger (Orgel). Eintritt frei (Kollekte).
Freitag, 12. Mai, 19.00 bis 20.00, Dreifaltigkeitskirche, Taubenstrasse 4, Bern.
Weitere Infos: www.musik-dreifaltigkeit.ch
* Moritat von Mackie Messer aus Bertolt Brechts «Dreigroschenoper» (Musik von Kurt Weill):
Und der Haifisch, der hat Zähne
Und die trägt er im Gesicht
Und Macheath, der hat ein Messer
Doch das Messer sieht man nicht. […]
Für die geplante Verfilmung fügte Brecht 1930 die folgende Schlussstrophe hinzu:
Denn die einen sind im Dunkeln
Und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte
Die im Dunkeln sieht man nicht