Gipfeltreffen zwischen dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden und dem russischen Präsidenten Vladimir Putin in Genf im Juni 2021. Foto: Keystone, Patrick Semansky
Die Kraft der Worte
Kolumne von Robert Zemp über Sprache und Verstehen
Das Gipfeltreffen zwischen Wladimir Putin und Joe Biden vom 16. Juni 2021 hatte das gemeinsame Ziel, sich zu verständigen. Ob dies im dreieinhalbstündigen Gespräch in geradezu idyllischem Ambiente am Genfersee gelungen ist, sei dahingestellt. Immerhin begegneten sich die beiden Staatsmänner auf Augenhöhe, und nach Aussage des amerikanischen Präsidenten war dieser persönliche Austausch für ihn wichtig und die Bereitschaft, einander verstehen zu wollen, spürbar.
Verstehen ist mehr, als sich von Argumenten überzeugen zu lassen. Es ist auch nicht das Ergebnis von Überredungskunst und schon gar nicht ein Resultat von Manipulation mittels Sprache, zum Beispiel durch gezielte Desinformation. Im besten Falle durchschauen wir, das ist zu hoffen, die Rhetorik und Taktik eines gewieften Gegenübers, das uns beeinflussen will, das uns das Blaue vom Himmel verspricht.
Verstehen ist mehr, als nur die Strategie und Absicht des anderen zu erkennen. Sich verstehen setzt das Vertrauen voraus, dass der oder die andere es gut meint mit mir. Ist dieses gegenseitige Vertrauen einmal da, kann sich die Kraft der Sprache entfalten und im besten Sinne etwas bewirken. Dann ist verstehen möglich, manchmal sogar ohne Worte. Ob die beiden Staatspräsidenten, Putin und Biden, bei ihrem Treffen etwas von dieser Kraft der Sprache verspürten? Ich denke schon. Bestätigen werden sie es wohl nicht.
Von Robert Zemp
*Erstpublikation: Kirchenzeitung PROFIL der reformierten Kirche Langenthal, Juni 2021.