Süsse Versuchung in der Fastenzeit... Foto: marshi / photocase.de
Die Kunst der Versuchung
Besonders während der Fastenzeit geraten wir öfters mal in Versuchung. Was ist das eigentlich, diese Lust nach «mehr»?
Gedanken zum Sonntag, 5. März – 1. Fastensonntag (Matthäusevangelium, Kapitel 4, Verse 1–11): «Dann wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt; dort sollte er vom Teufel in Versuchung geführt werden. Als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, bekam er Hunger. Da trat der Versucher an ihn heran und sagte: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird. Er aber antwortete: In der Schrift heisst es: Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt. (...)»
Von Thomas Wallimann*
Die Fasnacht ist vorbei – und so auch die Zeit der Versuchungen. Doch was ist Versuchung wirklich? Sie kommt ja auch im «Vater unser» vor, und eine Freundin pflegt dort jeweils zu beten: «Führe uns in die Versuchung – und erlöse uns von dem Bösen.» Was könnte sie damit meinen?
Zwischen Fasnacht und Fastenzeit herrscht ganz ähnlich wie im Evangelium zum ersten Fastensonntag eine Spannung zwischen Satan und Gott. Im Zentrum dieser Spannung steht der Mensch, Jesus. Er wird mit drei grundlegenden Spannungen, die unser menschliches Leben ausmachen, konfrontiert: der Spannung zwischen Hunger und Sattheit; zwischen dem Leben und seiner Begrenztheit, die wir am stärksten im Umgang mit dem Tod erfahren; und zwischen dem Reiz nach (immer mehr) Reichtum und Machtfülle auf der einen und dem «Genug» auf der anderen Seite. Meine Freundin meint, dass wir Menschen uns immer mit diesen Fragen auseinandersetzen müssen und somit inmitten einer dieser Spannungen befinden. Würden wir sie einfach auflösen, wären wir keine Menschen.
Mit Blick auf das heutige Evangelium besteht die Herausforderung darin, wie wir innerhalb dieser Spannungsfelder in unserem Leben reagieren. Oft suchen wir nach Auflösung der Spannungen, aber Jesus zeigt uns einen anderen Weg: Er nimmt die angesprochene Sehnsucht wahr und benennt den andern Pol. So macht er die eigentliche Spannung sichtbar. Erst so findet Jesus das rechte Mass für die Spannungen in seinem Leben.
Endliche Enttäuschungen müssen wir akzeptieren, nie aber die unendliche Hoffnung verlieren!
Martin Luther King in «Strength to Love»
In vielen Gesprächen von der politischen Situation in den USA über die Auseinandersetzung rund um den zunehmenden Nationalismus bis zu persönlichen Situationen in Familie oder Arbeitsplatz nehme ich solche Spannungen wahr, und höre den Bedarf nach deren Auflösung. Hier lädt uns die Fastenzeit zu etwas anderem ein. «In die Versuchung geführt werden» heisst Sehnsucht und Verlangen wahrnehmen, diese und den Gegenpol beim Namen nennen und darin schliesslich das richtige Mass an Spannung für unser Leben finden.
Gott oder Glaube sind nicht Magie, die Spannungen einfach zum Verschwinden bringt, sondern die Einladung, auf der Suche zu bleiben.
* Thomas Wallimann-Sasaki ist Theologe und Sozialethiker. Er ist Präsident a.i. der Nationalkommission Justitia et Pax der Schweizer Bischofskonferenz.