SRG-Generaldirektor Leo Schürmann, links, zusammen mit dem Stadtpräsidenten von Biel, Hermann Fehr, Mitte, und Hugo Marty, rechts, Direktor der Teletext AG, präsentieren am 3. Juli 1984 an einer Pressekonferenz den Start des Teletext auf SF DRS. Foto: Keystone/Str

Die Medien und das verlorenen Schaf

17.05.2017

Ein Rückblick auf ein Stück Mediengeschichte und ein Ausblick auf die Zukunft des Pfarrblatts.

Als am 1. Oktober 1981 der Schweizerische Teletext erstmals ausgestrahlt wurde, sahen die Zeitungsverlage in ihm den Totengräber der gedruckten Nachrichten.

Chefredakteure schlugen die Hände über dem Kopf zusammen und vor ihrem inneren Auge sahen sie schon Frau Schweizer, die Herrn Schweizer am Frühstückstisch als Erstes fragt: «Ruedi, wie wird das Wetter heute?», und Ruedi schlägt nicht etwas die Zeitung auf, sondern schaltet den Fernseher ein und liest den Teletext. Rund um den Telext wurde eine medienpolitische Debatte auf nationaler Ebene losgetreten, und die Führung von Ringier liess verlauten, der Teletext dürfe auf keinen Fall kostenlos im TV-Angebot für jeden zugänglich sein, das würde den etablierten Tageszeitungen jegliche Existenzgrundlage nehmen. 1990 wurden die Grundlagen des sogenannten World Wide Web entwickelt mit dem Ziel, das Internet kommerziell nutzbar zu machen. In der Medienwelt löste das kein grosses Echo aus, man war der Meinung, diese Entwicklungen seien etwas für Computernerds und Wissenschaftler. Zehn Jahre später hatte das Internet die Medienlandschaft komplett verändert. Was mit den sozialen Medien danach alles noch passierte, ist wohl den meisten bekannt. Was noch passieren wird, weiss keiner so genau. Am allerwenigsten die Nutzer selbst. Und doch stehen alle Medien vor der Sisyphusaufgabe, jederzeit und permanent den Entwicklungen angepasst zu sein, diese am besten schon vorauszusehen und ja keinen Fortschritt zu verpassen. Denn dann ist man nämlich weg vom Fenster. Vergessen und ignoriert von einem Publikum, welches noch nie so wandelhaft und wählerisch gewesen ist: Noch nie so viel Auswahl hatte und noch nie so überwältigt wurde und überfordert war.

Das ist ja alles so gut, so pessimistisch, mögen Sie jetzt denken, aber was sagt uns das für das «pfarrblatt»? Kürzlich erhielten wir einen Leserbrief. Das mit dieser «pfarrblatt»-Weiterentwicklung sei ja gut und schön, aber wir sollten doch auch mehr Gewicht auf die modernen Medien, sprich Radio und Fernsehen, legen, um auch die Jungen zu erreichen. Diese Aussagen sind symptomatisch. Symptomatisch für eine Generation, die immer noch nicht verstanden hat, wie schnell sich der mediale Wandel heute vollzieht. Radio und Fernsehen sind schon seit dem 2. Vatikanum keine neuen Medien mehr.

Social Media ist ja das Stichwort hier, heute. Ein Medienbereich, der genauso undefinierbar wie unberechenbar ist, der sich allen Medien aufzwingt, unumgänglich und arrogant, und verlangt, bearbeitet zu werden. Unerträglich attraktiv und zugänglich, aber treulos und willkürlich in seiner Gunst.

Das tönt jetzt, als wären Soziale Medien der Teufel leibhaftig. Das will ich nicht gesagt haben, auf keinen Fall: Wenn ich, ganz im Sinne der Modernität, Spiderman 2 zitieren darf: Mit grosser Macht kommt grosse Verantwortung. Und erst recht kommen grosse Möglichkeiten. Wieso Radio SRF3 diese Möglichkeiten dann nicht nutzt, um auf seinem Facebook-Kanal vernünftigen Journalismus zu betreiben, sondern ihnen nichts Dümmeres einfällt, als jede Woche irgendwelche 10-Typen-von-Pendlern-die-jeder-kennt-Videos und pseudohumorvolle Kommentarfilmchen von einigen Redaktor-Hipstern aufzuschalten, welche weder gut noch lustig sind noch irgendeine gesellschaftliche oder journalistische Relevanz haben und dazu, das garantiere ich, nicht mal den 13-jährigen, der das mal aus Versehen geliked hat und nicht weiss, wie man das rückgängig macht, dazu bringt, ab jetzt SRF3 zu hören … Das bleibt mir ein Rätsel.

Die Kirche redet gerne von verlorenen Schäfchen, wenn es um ihre untreuen Mitglieder geht. Auch das «pfarrblatt» ist Hirte seiner Leserschaft. Aber dem Bild, man müsste nur die paar verlorenen Lämmer einfangen, dann sei die Herde wieder komplett, liegt ein Denkfehler zugrunde. Die verlorenen Schäfchen, welche wir jagen, das sind die paar, die immerhin hin und wieder einen bösen Leserbrief schreiben und das «pfarrblatt» noch abonniert haben. Wir haben das Gefühl, das seien die, welche wir zurückholen müssen: Und haben nicht gemerkt, dass hinter uns die ganze Herde verschwunden ist.

Das ist die Ausgangssituation. Und was haben wir als «pfarrblatt», um diesen Haufen an Herausforderungen zu bewältigen? Wir haben ein Printprodukt, eine Website, einen Facebookauftritt und einen Haufen verlorener Schäfchen. Aber eines kann ich versprechen: Wir werden kein SRF3. Und wir bleiben kein Teletext.

Sebastian Schafer

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Redaktionsassistent Sebastian Schafer hat diesen Text an der «pfarrblatt»-Vereinsversammlung vorgetragen. Die Details zur Versammlung finden Sie HIER