Chefredaktor Andreas Krummenacher, «pfarrblatt»-Präsidentin Anne Durrer, Andrea Huwyler, Anouk Hiedl und Jürg Meienberg. Sind die Chefs aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch – ein Dreiergespräch.

Die Neuen und der Alte

17.10.2018

Ein Gespräch über Kirche, Kommunikation und Lebenskunst. Mit Anouk Hiedl, Andrea Huwyler, und bald Rentner Jürg Meienberg.

In einer der ersten gemeinsamen Mittagspausen der Neuen und des Alten auf der «pfarrblatt»-Redaktion entspann sich ein Gespräch über Kirche, Kommunikation und Lebenskunst. Mit Anouk Hiedl, neue Redaktorin, Andrea Huwyler, neue Redaktionsassistentin und Jürg Meienberg, bald Rentner.

Text-Mitschnitt – zum letzten Mal – Jürg Meienberg


Jürg Meienberg: Nimmt mich doch Wunder – die römisch-katholische Weltkirche ist an einem Tiefpunkt angelangt. Internationale Missbrauchsskandale ohne Ende, Klerikalismus, Streit unter Kardinälen, Rücktrittsforderungen an den Papst, fehlendes Personal und Gläubige, die sich von der Kirche abwenden – was ist eure Motivation, in dieser Situation beim «pfarrblatt» zu arbeiten?

Andrea Huwyler: Die Kirche hat schon mehrere Krisen erlebt und existiert immer noch. Sie hat sich durch solche Krisen aber auch gewandelt. Will man, dass sie sich wandelt, kann man nicht austreten, sondern muss sich innerhalb der Kirche engagieren und auf den guten Erfahrungen aufbauen, die man gemacht hat. Ich erlebte in meiner Pfarrei eindrücklich, was Gemeinschaft sein kann und wie man katholisch sein und trotzdem im Leben stehen kann.

Anouk Hiedl: Themen zu Lebenssinn, Glauben und Spiritualität bleiben auch in der aktuellen Krise der Kirche aktuell. Mehr als nur an der Oberfläche kratzen und herauskristallisieren, was Menschen wichtig ist, geht in einem Interview einfacher als im Alltag. Ich freue mich, dies nun fürs «pfarrblatt» tun zu können und dabei Menschen und ihre Spiritualität ins Zentrum zu stellen.

Jürg Meienberg: Anouk, du hast doch diese Krisensituation auch aus Sicht der Kommunikationsabteilung des Bischofs von Basel erlebt. Wie ist diese erneute Krise im Bistum aufgenommen worden?

Anouk Hiedl: Bischof Felix respektiert, was vom Papst für die Weltkirche ausgeht, und nützt den Spielraum, den er innerhalb dieser Grenzen hat, fürs Bistum Basel. Er kann den Zölibat nicht abschaffen, aber er unterstützt die Priester, Gemeindeleiter*innen, Seelsorgenden usw. des Bistums Basel so gut er kann. Das Bistum schaut auf das positiv Mögliche. Schwieriges gilt es zu benennen. Man versucht, Lösungen oder andere Wege zu finden.

Jürg Meienberg: Sicher, man hat die Prävention verstärkt, Kurse zur Pflicht gemacht, die Opfer angehört, die weltliche Justiz stärker gewichtet, alles wichtige Schritte. Aber in der Tiefenoptik des Problems hat sich nichts verändert. Deshalb könnten wir uns als Gläubige wie als Mitarbeiter*innen der Kirche, ob freiwillig oder angestellt, vorwerfen lassen, dass wir ein System stützen, das nicht mehr funktioniert.

Anouk Hiedl: Manche Bereiche liegen aktuell am Boden, andere hingegen funktionieren sehr gut, etwa die persönliche Seelsorge oder die Diakonie vor Ort.

Jürg Meienberg: Das erinnert mich an die «Good News»-Kampagne der Medienkommission der Schweizer Bischöfe, die sie nach dem ersten Überschwappen des Missbrauchsskandals 2010 aufgebaut haben. Sie sind den Ruf nie ganz losgeworden, dass sie mit guten Nachrichten die schlechten unter den Teppich kehren wollen. Und das wurde ja jetzt mit der erneuten Welle des Missbrauchsskandals aus Amerika und Deutschland bestätigt. Jetzt kommen endlich die Systemkritik und die Debatte über den Klerikalismus auf, den Eugen Drewermann schon 1989 mit seinem Buch «Kleriker» angestossen hat.

Andrea Huwyler: Bei mir kommt da Hassliebe auf, man ist wütend, traurig und enttäuscht über das, was totgeschwiegen wurde in der Kirche. Und da haben die Medien, auch das «pfarrblatt», die Chance, die Deckel zu lüften.

Jürg Meienberg: Du bist eine ostdeutsche Katholikin. War dein Katholisch-Sein damals eine Widerstandskultur?

Andrea Huwyler: Katholisch zu sein, war eher Zufall, weil Ostdeutschland lutherisch ist. Christsein war eine Art Gegenpol zum Staat – zusammen mit allen anderen Kirchen, die Ökumene war sehr wichtig.

Anouk Hiedl: Im reformierten Kanton Bern bin ich «katholisch light» aufgewachsen. Ich habe die Kirche aus meiner Kindheit in guter Erinnerung. Als Jugendliche interessierte ich mich weniger dafür. In den letzten Jahren habe ich sie wieder neu entdeckt, es gibt viele Angebote und Möglichkeiten, sich einzubringen, z. B. in ökumenischen Taizé-Gottesdiensten. Das ist eine andere Kirche als die klerikale. Diese habe ich im Herzen, und diese möchte ich auch im «pfarrblatt» zu Wort kommen lassen.

Jürg Meienberg: Als ich vor 18 Jahren beim «pfarrblatt» eingestiegen bin, war Befreiungstheologie, feministische Theologie, ökologische Theologie Thema als Widerstandskultur gegen das vorherrschende Klima. Ich wuchs wie Anouk in Bern behütet katholisch auf, lernte durch diese Theologien und die Auseinandersetzung mit der Bibel alternative Sichten, Sinnangebote und Lebenswirklichkeiten kennen an den Rändern der Gesellschaft.

Es gab eine aktive politische Theologie mit Nachtgebeten und mehr, es gab innerkirchlich die Tagsatzung, die den kirchlichen Reformstau anprangerte und kreativ anging, es gab die Bewegung Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Wir spielten Kabarett gegen die kirchliche Resignation. Da gab’s die Wirren um Bischof Haas und Demos in Chur, Solothurn und Luzern. Diese Dynamik ist in den letzten Jahren etwas zusammengebrochen. Die Tagsatzung wurde zum Verein. Das Bistum fördert zwar die Frauen und Theolog*innen – immerhin haben wir Frauen und Verheiratete als Gemeindeleitende, allerdings kirchenrechtlich immer noch nur als Notlösung, als Medikament gegen den Priestermangel.

Anouk Hiedl: Die jesuanische Botschaft ist doch: je näher man den Menschen ist, desto wirkungsvoller ist das Handeln. Jesus hat keine Kirche gegründet. Er war mit den Menschen und ihren Problemen unterwegs. Das ist doch auch das Programm eines «pfarrblatt».

Andrea Huwyler: Kirche muss deshalb auch politisch sein, Jesus war bei den Armen, da sind wir schon bei der Politik. Ich finde es toll, wenn die Kirchen es schaffen, das Übel der Ungerechtigkeit, der Ausgrenzung anzupacken und etwas Befreiendes beizutragen. Und das auch mit anderen Religionen anpackt. Die innerchristliche Ökumene und der interreligiöse Dialog sind ganz wichtig.

Anouk Hiedl: Jürg, warum gehst du eigentlich vorzeitig in Pension?

Jürg Meienberg: Ich durfte Ende der 1990er Jahre, damals noch als Pro-Dekan, mit einer engagierten Gruppe beim Aufbau des kirchlichen Internet-Auftrittes mithelfen. Vor drei Jahren, in einem Workshop mit einem Medienspezialisten über die neuen Möglichkeiten mit Social Media, fiel dann der Satz: das könnt ihr nicht mit 60-Jährigen leisten. Da wurde mir klar, dass es Zeit war, Platz und Geld frei zu machen. Die Frucht davon seid ihr zwei. Social Media verlangt nach einer anderen Sprache als Print, ein anderes Vernetzen, ein anderes Reagieren. Wie seht ihr das?

Andrea Huwyler: Ich bin auf «WhatsApp», habe aber eine tiefe Abneigung gegen alles, was hohle Selbstdarstellung ist. Beim Chatten kann man Gespräche führen.

Anouk Hiedl: Deshalb bin ich privat nicht auf Facebook. Die Zeit, die man für gutes Posten braucht, investiere ich lieber in persönliche Begegnungen. Zum «pfarrblatt»: Die Druckausgabe ist praktisch, geduldig und für alle Sinne. Aber Print ist langsam, und der Platz ist vorgegeben. Online kann man Aktuelles schnell mit mehr Zusatzinfos bringen …

Andrea Huwyler: … und verlinken! Ich habe als Assistentin bei kathbern.ch erfahren, welchen Mehrwert man erreichen kann. Zudem ergibt sich ein Schneeballprinzip, der eine interessiert sich mehr für dies, die andere für das und jede und jeder kann dann da etwas suchen, wo ihre bzw. seine Interessen liegen.

Anouk Hiedl: Insofern ergänzen sich Online und Print sehr gut. Die Art und Sprache, wie 5man etwas bringt, unterscheiden sich auf diesen beiden Kanälen. Das setzt du, Jürg, ja auf den neuen Medien auch selber um.

Jürg Meienberg: Natürlich habe ich mich interessiert eingearbeitet. Zuerst aber, auf der Website, war einfach das Print deckungsgleich aufgeschaltet. Jetzt, bei der zweiwöchentlichen Erscheinung des Prints auch mit exklusiven Artikeln, die wir im Blatt bewerben. Dank unserem ehemaligen kongenialen Assistenten Schafer schalteten wir auch eigenproduzierte bewegte Bilder. Es braucht auf Social Media dieselbe Sorgfalt wie im Print. Chefredaktor Krummenacher wird nie müde, das zu betonen. Nun braucht es den aktiveren Schritt hin zur Interaktion. Ich beneide euch nicht. Wie seht ihr eure neue Zukunft beim «pfarrblatt»?

Anouk Hiedl: Ich will mit dem Team dem nachgehen, was die Menschen bewegt, was sie diskutieren und welche Informationen sie brauchen. Das «pfarrblatt» ist für Menschen. Aus dem Gelesenen sollen Rückmeldungen oder ein Dialog entstehen, in der gedruckten Zeitung und online.

Andrea Huwyler: Ich würde mich freuen, wenn ich meinen Teil dazu beitragen kann, der Redaktorin und dem Redaktor den Rücken freizuhalten, damit sie interessante Themen bearbeiten können und sich nicht mit Administrativem herumschlagen müssen. Vielleicht kann ich den einen oder anderen Input noch geben. Es ist wichtig, dass der Kontakt zur Basis nicht verloren geht. Aber sag, Jürg, was wirst du am meisten vermissen?

Jürg Meienberg: Vermissen? Damit es nicht zu lang wird – ich freue mich mehr auf den Freiraum, der auf mich zukommt. Im Sinne von Laotse – das Wichtigste an einem Becher ist nicht die Gestalt, sondern die Leere. Durch sie wird das Gefäss brauchbar.

 


EINLADUNG

Am Freitag, 26. Oktober, von 15.30 bis 17.30
, sind Sie alle zum Nachmittag der offenen Tür auf die Redaktion «pfarrblatt», an der Alpeneggstrasse 5 in Bern, eingeladen. Kurze Begrüssung des neuen Redaktionsteams und Verabschiedung von Jürg Meienberg um 16.30. Mit Apéro und Rundgang durch die neu gestalteten Räume. red.

 

Einer geht ...

Zur Pensionierung von Jürg Meienberg

«Wie sprechen und schreiben über Glauben, Jesus und Kirche, dass die Menschen darin Leben und nicht Bevormundung erfahren?» Diese Frage hat – laut eigenen Worten – «pfarrblatt»-Redaktor Jürg Meienberg in seinem Berufsleben ständig begleitet.

Für das «pfarrblatt» sind es schliesslich 18 Jahre geworden. Jürg hat seine redaktionelle Arbeit als Dienst an Diakonie, Seelsorge und Verkündigung, an diesen drei Pfeilern des «Kirche sein», verstanden. Mit seiner manchmal lauten (aber immer von einer tiefen Überzeugung getragenen) Stimme empfing mich Jürg jeweils auf der Redaktion, appellierte für ethische Entscheidungen während der Vorstandssitzungen, kämpfte für Glaubwürdigkeit aus der Überzeugung, dass man alles offen besprechen muss.

Glaubwürdig: Das ist Jürg jedenfalls. In diesen 18 Jahren ist er unbeirrt und mutig seinem Stil und seiner Linie gefolgt. Das hat für mich etwas Beispielhaftes, jemand, der nicht jede Mode mitmachen muss, vom dem ich immer wusste, wo und wofür er steht. Für deine Gradlinigkeit, für deine grosse Offenheit, für deine Warmherzigkeit und vor allem für deinen unermüdlichen Einsatz für das «pfarrblatt» bis zum letzten Tag, für dein Engagement bei allen Veränderungen, die die Redaktion in diesen Jahren durchmachen musste, möchte ich dir, lieber Jürg, von Herzen ein riesiges DANKE sagen.

Du hast das «pfarrblatt» und alle, die mit dir zu tun hatten, mit deiner Persönlichkeit geprägt. Du bist ein echter Vertreter der Kirche des Zweiten Vatikanums, der Kirche des Volks Gottes, der Kirche aller Getauften, egal, wo sie im Leben stehen. Lieber Jürg, im Namen des Vorstands wünsche ich dir eine gesunde, freudvolle und gesegnete Pensionierung. Langweilig wird es dir bestimmt nie.

Und: Wir werden dich vermissen! … und Neue kommen: Mit Anouk Hiedl hat der Vorstand eine Nachfolgerin für Jürg Meienberg gefunden. Ich freue mich sehr, eine junge weibliche Stimme auf der Redaktion zu wissen und ihre Beiträge fürs «pfarrblatt» und im Netz bald lesen zu dürfen. Neu auf der Redaktion ist auch Redaktionsassistentin Andrea Huwyler. Für ihre Unterstützung in allen Belangen sind wir schon jetzt dankbar.

Im Namen des Vorstands heisse ich Anouk und Andrea herzlich willkommen.

Anne Durrer, Präsidentin der «pfarrblatt»-Gemeinschaft

Zum Abschied von Jürg Meienberg lesen Sie auch:
Simon Spengler geht - Jürg Meienberg kommt. PDF «pfarrblatt» Nr. 23/3. Juni 2000  
Jürg Meienberg - neuer Redaktion beim Berner «pfarrblatt». PDF «pfarrblatt» Nr. 36/2. September 2000