«Wir bieten unsere Freundlichkeit an», sagt die Ingenbohler Schwester Rufina, die sich in Lampedusa um Flüchtlinge kümmert. Foto: Klaus Gasperi
Die Nonne von Lampedusa: «Unser Ausweis ist das Kreuz»
Die kleine Insel Lampedusa gilt als Tor zu Europa. Beinahe täglich treffen hier Flüchtlingsboote ein. «Die Flüchtenden sollen spüren, dass wir ihnen als Menschen begegnen», so umschreibt die Ingenbohler Schwester Rufina ihre Mission auf Lampedusa.
Klaus Gasperi, Pfarreiblatt Urschweiz
Seit einem Jahr lebt die Ingenbohler Schwester Rufina auf Lampedusa. Die zu Italien gehörende Insel galt mit ihren schönen Stränden einst als beliebtes Urlaubsparadies. Seit etwa 2010 ist Lampedusa jedoch vor allem für das Elend der Flüchtlinge und Migrant:innen bekannt – aufgrund seiner Nähe zur tunesischen und libyschen Küste. Nahezu täglich treffen Boote mit Flüchtlingen auf der Insel ein.
Als Jorge Mario Bergoglio im Frühjahr 2013 zum Papst gewählt wurde, führte ihn seine erste Reise nur wenige Monate später nach Lampedusa. Er besuchte dort die Auffanglager für Flüchtlinge und kritisierte angesichts tausender Menschen, die bei der Überfahrt aus Afrika ums Leben kamen, die Gleichgültigkeit Europas gegenüber diesem Elend. Mehr noch: Er rief dazu auf, etwas dagegen zu unternehmen.
«Es geht uns um den menschlichen Kontakt»
Der Ruf verhallte nicht ungehört. Der weltweite Verband der Leiterinnen der Frauenorden (UISG) griff das Anliegen auf und fragte, wer bereit sei, auf Lampedusa zu arbeiten. 2015 wurde mit der Arbeit auf Sizilien begonnen. Seit 2019 sind Ordensschwestern nun auch direkt auf Lampedusa vertreten, wo sie eine kleine Gemeinschaft von drei Nonnen bilden, darunter die zwei Ingenbohler Schwestern Danila und Rufina. Da sich eine der beiden gerade in Ingenbohl aufhielt, bot sich die Gelegenheit, mit Sr. Rufina zu sprechen.
Vor einem Jahr ist Sr. Rufina, die aus Indien stammt, nach Lampedusa gekommen. «Wir stehen am Quai, um die Flüchtlinge bei ihrer Ankunft zu empfangen. Es geht uns um einen menschlichen Kontakt, um Würde. Die Migrant:innen sollen spüren, dass wir ihnen als Menschen begegnen», sagt Sr. Rufina.
Denn Lampedusa, das ist vor allem Verwaltung. Tausende Flüchtlinge kommen hier an, werden von den Behörden registriert, untersucht und vom Roten Kreuz betreut und möglichst rasch aufs Festland «weitertransportiert». «Früher wurden die Flüchtlinge von den Einheimischen betreut, da gab es noch zwischenmenschliche Kontakte. Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen geht das jetzt nicht mehr.» Die Flüchtlinge werden vom Roten Kreuz betreut und bekommen auch neue Kleidung. «Wir wollen ihnen vor allem menschliche Wärme geben», erklärt Sr. Rufina. «Wir bieten ihnen Wasser, Tee, Snacks und unsere Freundlichkeit an und manchmal, wenn sie völlig durchnässt sind, auch Kleidung.»
Um auf Lampedusa mit Flüchtlingen zu arbeiten, muss man einer Organisation angehören, einer Behörde oder dem Roten Kreuz. Sr. Rufina lacht: «Unsere Arbeit hier wird toleriert, die Behörden informieren uns, und wir arbeiten zusammen. Zwar haben wir keinen offiziellen Ausweis, der uns dazu berechtigt. Wir gehören zu keiner Behörde. Unser Ausweis ist das Kreuz. Wir wollen im Nächsten Christus umarmen.»
Wenn es gut geht …
Der Anblick toter Menschen gehört zu den schwierigsten Erfahrungen von Sr. Rufina, auch wenn das auf Lampedusa nicht ungewöhnlich ist. Viele Flüchtlingsboote schaffen es nicht bis zur Insel. Wenn es gut geht, sammelt die «Guardia Costiera», die Küstenwache, die Migrant:innen auf dem Meer ein und bringt sie an den Quai von Lampedusa.
«Die Boote sind mit Menschen vollgepackt und überladen», berichtet Sr. Rufina. «Die Migrant:innen sind auf dem Wasser mehrere Tage unterwegs und können sich gar nicht bewegen, weil das Boot sonst kentern würde. Unter Deck gibt es nur wenig Sauerstoff, die Menschen verbrennen sich an den heissgelaufenen Maschinen oder sie atmen stinkende Dieselabgase ein. Einmal wurden nachts zehn Leichen gebracht. Für diese Menschen konnten wir nur noch beten.»