Die Vollständige

In Jim Craces Roman «Quarantine» ebenso wichtig wie in der Bibel und im Leben: die Zahl 40.

von Anouk Hiedl

Vor 2000 Jahren betreten vier Reisende die Wüste Juda, um zu fasten und zu beten. In der gleissend heissen, felsigen Einöde treffen sie auf den tyrannischen Kaufmann Musa. Weiter entfernt fastet eine weitere, undeutliche Gestalt; ein Galiläer, von dem man sagt, er könne Wunder wirken. In Jim Craces Roman «Quarantine» greifen die verschiedenen Schicksale ineinander – ungewohnt und provokativ schreibt der preisgekrönte britische Autor über Jesu 40 Tage in der Wüste.

In der Bibel trifft man oft auf die Zahl 40. Die Sintflut dauerte 40 Tage, Moses war 40 Tage auf dem Berg Sinai, das Volk Israel wanderte 40 Jahre durch die Wüste, und die Herrschaften der Könige David und Salomo währten 40 Jahre. Im Neuen Testament heisst es, dass Jesus 40 Tage nach seiner Geburt in den Tempel gebracht wurde. Zwischen seiner Auferstehung und Himmelfahrt blieb er nochmals 40 Tage bei seinen Jünger:innen.

In der Antike und im Alten Testament ist Vier eine ganze, vollkommene Zahl, da sie alle Jahreszeiten, Elemente, Himmelsrichtungen, Lebensphasen (Kindheit, Jugend, Erwachsensein und Alter) und Temperamente (phlegmatisch, sanguinisch, cholerisch oder melancholisch) abdeckt. Biblisch steht 40, ihr Zehnfaches, symbolisch oder epochal für einen vollständigen, d. h. unverkürzten Zeitabschnitt – eine Generation, Regentschaft oder Fremdherrschaft bzw. eine Zeit des Friedens oder der Prüfung, die durchlebt werden muss, bevor etwas Neues kommt.

Die Zahl 40 prägt unser Leben. Quarantäne, ursprünglich für 40-tägige Hafensperren für Schiffe mit seuchenverdächtigen Personen, hat sich für mich zum pandemiebedingten (Un-)Wort gemausert. Wird ein Kind geboren, ist es auf Italienisch, «dato alla luce» – dem Licht geschenkt. In dieser Redewendung schwingt der Neubeginn am Ostermorgen mit. Bemerkenswert, dass die Schwangerschaft davor in der Regel 40 Wochen dauert.

Anouk Hiedl