Seit dem 2. Vatikanischen Konzil eine Seltenheit: die Mundkommunion. Foto: KNA
Rituelle Vielfalt: Was ist katholisch?
Die katholische Kirche kennt verschiedene Teilkirchen und unterschiedliche Liturgien und Riten. Wie viel Variation ist jedoch erlaubt?
Elisabeth Zschiedrich
Diese Frage stellte sich jüngst, als der Vatikan eine Visitation der Priesterbruderschaft Sankt Petrus ankündigte. Man wolle sich die Bruderschaft mit Sitz in Freiburg i. Ü. genauer anschauen, hiess es Mitte September in einem Schreiben des Ordens-Dikasteriums. Worum es bei der Visitation der Petrusbrüder genau geht, ist nicht bekannt. Die Bruderschaft erklärte, der Besuch des Vatikans sei nicht in Problemen der Gemeinschaft begründet, sondern solle «dem Dikasterium ermöglichen, zu erfahren, wer wir sind, wie es uns geht und wie wir leben».
Der tridentinische Ritus
Die Petrusbruderschaft ging 1988 aus der Piusbruderschaft hervor. Im Gegensatz zu Letzterer stehen die Petrusbrüder in voller Gemeinschaft mit Rom und anerkennen das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965). Wie die Piusbruderschaft sind sie aber traditionalistisch geprägt und halten an der Feier der Messe nach dem alten Ritus fest.
Der auch als tridentinisch bezeichnete Ritus unterscheidet sich deutlich von der nach dem Zweiten Vatikanum etablierten römischen Gottesdienstform. Die sogenannte «Alte Messe» wird auf Latein und mit dem Rücken zur Gemeinde zelebriert. Die Liturgie vollzieht sich ohne aktive Beteiligung der Lai:innen, sie ist ganz auf den Priester konzentriert. Auch das theologische Verständnis ist anders. Die «Alte Messe» wird nicht in erster Linie als Heilshandeln Gottes an den Menschen verstanden, sondern als Gott geschuldeter Kult.
Ringen um den Ritus
Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil gilt dieses Verständnis von Gottesdienst und Liturgie als überholt. Das Konzil verwies auf die frühchristlichen und biblischen Ursprünge der Kirche, vereinfachte die Riten, warb für die aktive Teilnahme aller Gläubigen am Gottesdienst und etablierte ein Verständnis der Liturgie als Gemeinschaftsfeier.
In einzelnen traditionalistischen Gemeinschaften hat sich der alte Ritus aber bis heute erhalten. 2007 rehabilitierte Papst Benedikt XVI. ihn in Teilen, als er den von ihm so bezeichneten «ausserordentlichen römischen Ritus» wieder erlaubte. 2021 schränkte Papst Franziskus die Feier der «Alten Messe» dagegen wieder ein. Seither darf diese nur an bestimmten Gottesdienstorten und mit Einverständnis des Heiligen Stuhls oder des Ortsbischofs zelebriert werden.
Liturgien und Riten der katholischen Teilkirchen
Warum dieses Tauziehen um den römischen Ritus? Schliesslich kennt die katholische Kirche eine Vielzahl an Riten. Das stimmt zwar, aber es gibt einen wichtigen Unterschied. Die anderen vom Vatikan anerkannten Liturgien sind keine älteren Varianten des römischen Ritus, sondern eigene Ausformungen des Gottesdienstes in den katholischen Teilkirchen des christlichen Ostens.
Die Gläubigen der katholischen Teilkirchen leben vor allem in Osteuropa, im Nahen und Mittleren Osten, in Nordafrika und Indien. Da viele von ihnen eine neue Heimat in Westeuropa gefunden haben, kann man ihre Gottesdienstformen auch hierzulande erleben. «Fremd und faszinierend» sei das, meint der Theologe Johannes Oeldemann. Wer etwa eine Eucharistiefeier der syro-malankarischen Gemeinde in Köniz erlebt, versteht, was Oeldemann meint. Fast alles scheint hier anders zu sein als in einem katholischen Gottesdienst nach römischem Ritus – gleich ob tridentinisch oder nach-konziliarisch.
Messe im westsyrischen Ritus
An jedem zweiten Sonntag im Monat wird die Eucharistiefeier in der Kirche St. Josef in Köniz nach westsyrischem Ritus gefeiert. Der Altarraum ist mit bunt bestickten Tüchern geschmückt, vor dem Altar liegt ein roter Teppich. Während der Messe wird ausschliesslich gesungen. Der Priester zelebriert mit dem Rücken zur Gemeinde, das Weihrauchfass kommt fast ununterbrochen zum Einsatz.
Die Gesten des Priesters sind ausdrucksstärker als in einer «normalen» Messe. Er macht ausschweifende Armbewegungen, wirft sich auf den Boden und verneigt sich tief vor dem Altar. Wer die Gottesdienstsprache, das indische Malayalam, nicht versteht und mit orthodoxen Riten nicht vertraut ist, erkennt nur am Kelch und an der Hostienschale, dass es sich um eine christliche Messe handelt. Allein das Gebet für Papst Franziskus und Bischof Felix verweist darauf, dass es ein katholischer Gottesdienst ist.
Liturgische Diplomatie
Erst seit 1930 gehört der westsyrische Ritus zur katholischen Kirche. Nach internen Streitigkeiten wandte sich damals ein Teil der orthodoxen Thomaschristen in Indien an Rom und nahm Unionsverhandlungen auf. Beim Übertritt in die katholische Kirche wurde ihnen die Beibehaltung des orthodoxen, westsyrischen Ritus gewährt. Die Inkorporation des westsyrischen Ritus in die katholische Kirche ist sozusagen das Resultat erfolgreicher liturgischer Diplomatie.
Wie die syro-malankarische Kirche pflegen auch die anderen katholischen Ostkirchen eigene Riten orthodoxen oder orientalischen Ursprungs. Wieso ist Vielfalt hier erlaubt, mit Bezug auf den römischen Ritus aber umstritten?
Spalterische und verbindende Vielfalt
Ein Grund ist die Befürchtung, dass sich die von Traditionalisten praktizierte Liturgie gegen die Einheit der Kirche wendet. Papst Franziskus warnt vor einer Ablehnung der Kirche im Namen einer anderen, angeblich «wahren» Kirche. Die Vielfalt im römischen Ritus kann spalterisch wirken, wenn sie die Annahme des Zweiten Vatikanischen Konzils und die gemeinschaftliche Feier des einen Glaubens in Frage stellt.
Auf der anderen Seite kann eine Vielfalt an Riten innerhalb der Kirche auch Verbindung erzeugen. Dadurch, dass die mit Rom unierten Kirchen die Riten der orthodoxen Kirchen beibehalten haben, fördern sie die Ökumene und stärken damit auch die katholische Kirche.
Visitatoren sind nun bekannt
Seit Kurzem sind die Namen der beiden Visitatoren der Petrusbruderschaft bekannt: Diarmuid Martin, emeritierter Erzbischof von Dublin, und Bernard-Nicolas Aubertin, emeritierter Erzbischof von Tours, gelten als eher liberale Vertreter der Kirche. Die von der Bruderschaft praktizierte «Vielfalt» werden sie bei ihrem Besuch in Freiburg i.Ü. vermutlich besonders unter die Lupe nehmen. Wie sie diese beurteilen werden, bleibt abzuwarten.