Foto: Wikipedia (Berliner Mauer 1989)

Die Welt wird trotz aller Kriege immer friedlicher

27.10.2022

Die Sehnsucht nach Frieden in den Religionen

Alle reden vom Krieg. Dabei nimmt die Gewalt weltweit ab, sagt die Wissenschaft. In allen Religionen findet sich die Sehnsucht nach Frieden. Inwiefern sie dazu beitragen, ist offen. Klar scheint: Die Verbindung von Glaube und Macht schadet.

Von Tilmann Zuber

Kriege in der Ukraine, in Syrien und im Jemen. Die Welt erscheint mehr und mehr als Tollhaus in den Händen von Autokrat:innen. «Das täuscht», erklärt der Harvard-Wissenschaftler Steven Pinker. Die Gewalt sei im Laufe der Geschichte immer weiter zurückgegangen. Die Menschen werden friedlicher. Es gibt heute weniger Kriege, weniger Morde, weniger Folter, weniger Hinrichtungen, weniger Vergewaltigungen und häusliche Gewalt.

Die Fakten, die der Psychologieprofessor sammelt, belegen, dass das Risiko, ermordet zu werden, im Mittelalter und in der frühen Neuzeit weit höher war als heute. Pinkers These wird auch vom «Global Peace Index» gestützt. Die Welt wird friedlicher, sagen dessen Statistiken. Das friedlichste Land ist zurzeit Island.

Sehnsucht nach Frieden

In den Religionen haben die Sehnsucht nach und die Vision des Friedens einen grossen Stellenwert. Doch bei der Frage, was Frieden ist, weichen die Vorstellungen stark voneinander ab. Im Buddhismus ist ein friedfertiges Leben das Ziel auf dem Weg zur Erleuchtung. Sei gütig und friedfertig, schade niemandem und zerstöre nicht die Natur, fordert der «Achtfache Weg».

Das Risko, ermordet zu werden, war im Mittelalter weit höher als heute.

Im Hinduismus führen Meditation und die Befreiung vom Leid zu innerem Frieden, zum «Shanti». Das hebrä­ische Wort «Schalom» bedeutet für Jüdinnen und Juden, wohlbehalten und sicher zu leben. Und im Alten Testament mahnten die Propheten, ohne Gerechtigkeit gebe es keinen Frieden. Es wird berichtet, wie ­eine Taube Noah nach der Sintflut ­einen Olivenzweig brachte als Zeichen, dass Gott mit den Menschen Frieden geschlossen hatte. Taube und Olivenzweig wurden zu weltweiten Friedenssymbolen.

Aufruf zur Vergebung

Jesus knüpfte an dieses Friedensverständnis an und radikalisierte es, indem er Sünden vergab und zur Vergebung aufrief. Er verband die Gottesliebe mit der Menschenliebe und forderte seine Anhänger:innen in der Bergpredigt dazu auf, Friedensstifter zu werden. Frieden wird zur Frucht des Heiligen Geistes, der die Menschen dazu befähigt, die Gesellschaft zu befrieden. Bis heute ist der Friedenskuss ein wichtiger Teil in Gottesdiensten vieler Kirchen.

Für den Anthropologen Carel van Schaik verbanden sich Macht und Religion in dem Moment, als die Menschen sesshaft wurden und König­reiche gründeten. Dabei kam es zum Pakt zwischen den Herrschenden und den Priestern, der sich durch die ganze Menschheitsgeschichte zieht. Der Auftritt der Reli­gionsgründer wie Jesus, Mohammed oder Buddha oder später der Reformatoren war eine Reaktion auf diese unsozialen und kriegerischen Herrscher, die sich der Religion bemächtigt hatten. Die neuen Religionen predigten Barmherzigkeit und soziale Gerechtigkeit. Doch früher oder später wurden auch sie Teil der Machtapparate und unterdrückten Andersgläubige und Minderheiten.

Ethische Grundregel

Im letzten Jahrhundert zerbrach in vielen Ländern dieser Pakt zwischen Machthabern und den Religionen. Im Kampf für Menschenrechte, Gerechtigkeit und Frieden standen und stehen Geistliche und Gläubige in den vorderen Reihen: Dietrich Bonhoeffer in Nazideutschland, Martin Luther King in den USA, Mahatma Gandhi in Indien, Bischof Desmond Tutu in Süd­afrika sowie Leonardo Boff und Bischof Hélder ­Câmara in Südamerika.

Mit Hilfe des friedlichen Protests und des Glaubens engagierten sie sich für eine neue Welt. Der Theologe Hans Küng suchte in seinem Projekt Weltethos den gemeinsamen friedlichen Nenner der Religionen. Er fand ihn in der «Goldenen Regel»: «Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu.» Für Küng ist dies der Ansatz, wie die Religionen zu einer friedlicheren Welt beitragen könnten.


Erstpublikation in «zVisite»