Foto: Pia Neuenschwander
«Diesen Schatz in zerbrechlichen Gefässen»
(2.Kor.4.7)
Schenkt der Glaube noch Orientierung in der Welt? José Balmer, Theologe und heute Mitarbeiter des Hilfswerkes «Brücke • Le pont», Freiburg, wagt ein Experiment. Er setzt sich in unserer Serie mit seinem persönlichen Glauben und damit mit der Orientierung in der Welt auseinander.
Seine Sehnsucht nach einem gelingenden Leben, sein Ringen um den inneren Schatz des Glaubens, seine Hoffnung auf eine gerechtere Gesellschaft bietet er in der «pfarrblatt» Serie als Impulse zum Weiterdenken an.
«pfarrblatt»: Sie stellen sich als Theologe die Frage «kann man heute noch christlich glauben». Warum?
José Balmer: Der christliche Glaube enthält für mich eine befreiende Kraft, die mir gut tut und die auch der Welt gut täte. Aber viele Dinge und Dogmen gehen meilenweit an der heutigen Welt vorbei, sodass sie für viele Menschen keine Bedeutung mehr haben. Die traditionelle Theologie enthält gewiss wertvolle Denkanstösse, aber vieles überzeugt nicht mehr. Der Glaube ist ja eine tiefere Deutung dessen, was wir vordergründig sehen, erleben und wissen. Darum muss er auch das Neue, das wir heute erleben und wissen ins Nachdenken einbeziehen. Wie ist der christliche Glaube mit den Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften zu vereinbaren? Wie stellt er sich dem Dialog in den multikulturellen Gesellschaften? Was hat er angesichts der totalen Ökonomisierung der Welt zu sagen? Ich glaube, wenn das Christentum sich auf seinen Ursprung besinnen würde, hätte es der Welt viel zu bieten.
Sie stellen Glaubensfragen, die Zweifelnde und Suchende erreichen sollen. Warum sind Ihnen diese wichtig?
Weil ich selber ein Zweifelnder und Suchender bin. Ich stelle die Fragen für mich. Trotzdem fühle ich mich als gläubiger Mensch. Ich ahne im Leben einen tieferen Sinn; ich fühle eine Dankbarkeit in mir; ich kann Staunen. Gleichzeitig möchte ich etwas Klarheit in meine Gedanken über Gott und die Welt bringen. Ich möchte nicht nur einzelne Fragen klären, sondern einen einigermassen schlüssigen Zusammenhang sehen. Das ist sehr vermessen, aber versuchen tue ich’s trotzdem.
Sie waren Mitglied des Ordens der Redemptoristen und waren Priester. Was hat sie bewogen auszutreten?
Die einfachste Antwort würde heissen: eine Frau. Aber das ist längst nicht alles. Es hat viel mit meiner Erziehung und persönlichen Geschichte zu tun, in der ich mich gefangen fühlte. Ich suchte Befreiung beim Redemptor, d.h. beim Erlöser, erlebte als Priester aber weiterhin die Ansprüche und den Druck der «Mutter Kirche». Als diese Mutter auch noch die Befreiungstheologen massregelte, war genug «Heu unten». Da wagte ich den Sprung. Ich erlebte ihn als Befreiung zum Menschsein. Ich hadere aber nicht mit der Vergangenheit, denn als Priester habe ich eine reiche Palette von Menschen getroffen und viel Wunderbares erlebt.
Sie arbeiten heute für ein Hilfswerk. Die Fragen des Glaubens sind Ihnen wichtig geblieben. Weshalb?
Es ist mir wichtig zu sagen, dass ich für Menschen arbeite, für benachteiligte und arme Menschen. Das Hilfswerk «Brücke • Le pont» ist ein notwendiges und gutes Instrument, aber nicht das Ziel. In meiner Arbeit habe ich immer die Menschen vor Augen, die ich als Redemptorist in Bolivien und später auch in Brasilien in Projekten kennen und lieben gelernt hatte. Für mich gibt es einen engen Zusammenhang zwischen Glaube und Entwicklungszusammenarbeit. Albert Schweizer, Tropenarzt, Theologe und Musiker, verkörperte für mich als Jugendlicher diese Verbindung. Ich entschloss mich schliesslich für die Theologie, weil ich Menschen – auch mich selbst – durch den Glauben dazu bewegen wollte, sich für andere einzusetzen.
Sie hinterfragen auch den dogmatischen Glauben und stellen ihre eigene Haltung dagegen. Was bedeutet ihnen Kirche noch?
Kirche ist für mich, wenn Menschen das Leben in Dankbarkeit feiern und sich für etwas Gutes einsetzen, lokal und über die geografischen, kulturellen und sozialen Grenzen hinaus. Gewiss braucht es dafür Organisation, aber keine hierarchischen Strukturen. Engagierte Menschen können sich auch selber organisieren, wie es ihren Möglichkeiten und den Bedürfnissen entspricht. Was das Lehramt betrifft: Die Kirchen tragen einen Glaubensschatz durch die Zeit. Aber für mich ist er nicht eine hart geschliffene Wahrheit, mit der man drohen und töten kann, sondern ein lebendiger Geist, der weht, wo und wie er will. Ich sehe die Aufgabe des Lehramts darin, den Menschen die Augen für die Zeichen und Anforderungen des Geistes in der Aktualität zu öffnen und sie zu ermuntern, im gleichen Geist zu handeln.
Die Fragen stellte Jürg Meienberg