
Bernd Nilles und Papst Franziskus im Vatikan, 2015. Foto: zVg
Direktor der Fastenaktion: «Papst Franziskus sprach nicht zur Kirche allein!»
Bernd Nilles leitet das Hilfswerk Fastenaktion seit 2017. Mit dem Papst der Umwelt und der Armen verband Nilles eine besondere Bindung. Ein persönlicher Nachruf.
Bernd Nilles*
Wenn ich an Papst Franziskus denke, kommen mir Worte wie Bescheidenheit, Klarheit, Nahbarkeit, Reformen, das «gemeinsame Haus», «der Schrei der Erde und der Armen» in den Sinn. Wie er Füsse wäscht, an die «Ränder» geht, wo Krieg herrscht, Flüchtende stranden, Inseln unterzugehen drohen. Aber ich erinnere mich auch gerne an die persönlichen Begegnungen mit ihm, die ich dank meiner Arbeit für katholische Hilfsorganisationen wie Fastenaktion erfahren durfte.
«Diese Wirtschaft tötet»
Franziskus startete steil, als er 2013 seinen Vorgänger Benedikt ablöste. Er nahm von Anfang an kein Blatt vor den Mund, weckte Hoffnung und provozierte Kritik. Er benannte zum Beispiel öffentlich «15 Krankheiten des Vatikans», drängte auf Reformen und scheute auch nicht vor Personalwechseln zurück. Nach nur wenigen Monate im Amt veröffentlichte er als erster Papst mit «Evangelii Gaudium» ein Programm für sein Pontifikat. Darin fand sich auch die Aussage: «Diese Wirtschaft tötet».
Er klagte an, dass Menschen ausgegrenzt und wie Müll behandelt werden, warnte vor der immer grösser werdenden Schere zwischen Arm und Reich. Und forderte eine Orientierung am Weltgemeinwohl und eine gerechtere Wirtschaftsordnung. Wirtschaftsverbände fühlten sich herausgefordert, Sozialverbände und Zivilgesellschaft fühlten sich gehört.
Im Juni 2015 veröffentlichte Franziskus seine erste Enzyklika. Der Titel «Laudato Si» bezieht sich auf den Lobgesang des Heiligen Franz von Assisi, der sich bereits vor 800 Jahren zur Bewahrung der Schöpfung an alle Menschen dieser Erde wandte.

Das Dokument entfaltet seine Kraft durch eine schonungslose Beschreibung der Realität. Man hört beim Lesen geradezu den «Schrei der Erde und der Armen». Franziskus will, dass wir diesen Schrei als gemeinsamen Aufschrei erkennen, denn wo Umwelt zerstört wird, leiden auch die Menschen. Und wo die Menschen ausgebeutet werden, ist meist auch die Umwelt besonders bedroht.
Franziskus ergänzt damit die katholische Soziallehre um die Umweltdimension. Er stellt klar, dass wir Menschen nicht über der Natur stehen, sondern Teil von ihr sind. Wir alle haben die Aufgabe, «unserem gemeinsamen Haus» Sorge zu tragen.
Wissensdurst und Gestaltungswillen
Franziskus zeigte immer wieder Offenheit auch für umstrittene Themen und liess sich beraten. Er empfing Klimaforscher:innen, Ökonom:innen, Politiker:innen, Entwicklungsfachleute wie mich, Menschen, die mit den Armen arbeiten; er lud die Opfer von Rohstoffkonzernen in den Vatikan ein. Diese Begegnungen mit Franziskus und seinen Beratern, darunter die Kardinäle Pedro Parolin, Michael Czerny, Peter Turkson oder Oscar Rodriguez, waren geprägt von grossem Respekt, Wissensdurst und Gestaltungswillen.
Für Fastenaktion bot sich die Möglichkeit, eigene Überlegungen in die Kirche einzubringen und die Botschaften aus «Laudato Si» auch für unsere Arbeit zu nutzen. Denn Papst Franziskus schrieb und sprach nicht zur Kirche allein! Er wandte sich direkt an die Politik. Seine Hoffnung war, eine Wende hin zu Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit einzuläuten, eine grundlegende «ökologische Umkehr».
Fachleute wie der deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber sehen Franziskus’ Engagement als «game changer» und als wesentlich für die Fortschritte der internationalen Gipfeltreffen zu Klima und Nachhaltigkeit.
Stemmte sich gegen Mauern
Umso bitterer dürfte es für Franziskus gewesen sein, dass sich zum aktuellen 10-Jahrjubiläum von Laudato Si verschiedene politische und wirtschaftliche Kräfte so erfolgreich aufbäumen gegen den Wandel, für den er eintrat. Sein Amt endet nun in einer Zeit, in der Rohstoff- und fossile Energiekonzerne politischen Rückenwind erhalten und Umweltregeln aufgeweicht werden sollen.
Eine Zeit, in der einige Milliardäre versuchen, die sozialen Medien für ihre Zwecke zu kontrollieren, in der gegen Flüchtende Mauern gebaut werden, in der sich Regierungen mit Kürzungen der Entwicklungshilfe von den Armen entsolidarisieren. Eine Zeit, in der Frieden für viele Menschen in weiter Ferne ist.

Im Sinne von Franziskus bleiben wir bei Fastenaktion dennoch zuversichtlich, dass es eine Zukunft für die Menschheit in Frieden und Wohlergehen ohne extreme Armut und Hunger geben kann: Wenn wir bei unserem persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Handeln nicht die natürlichen Belastungsgrenzen unseres Planeten überschreiten.
Wenn wir extreme Ungleichheiten zwischen Arm und Reich sowie Mann und Frau beseitigen, und wenn wir die Kraft einer Solidarität oder «Zärtlichkeit» unter den Völkern erkennen. Denn, in den Worten des Papstes: «Wir müssen uns bewusstwerden, dass unsere eigene Würde auf dem Spiel steht. Wir sind die Ersten, die daran interessiert sind, der Menschheit, die nach uns kommen wird, einen bewohnbaren Planeten zu hinterlassen… Dies beleuchtet kritisch den Sinn unseres eigenen Lebensweges auf dieser Erde.» (Laudato Si Nr. 160).
Jorge Mario Bergoglio (1936 – 2025) stammte aus Argentinien. Er wurde 2013 zum 266. Papst gewählt und war der erste Vertreter des Globalen Südens in diesem Amt.
*Bernd Nilles ist Geschäftsleiter des katholischen Hilfswerks Fastenaktion