Du bist wichtig, weil du eben du bist. Cicely Saunders – Begründerin der modernen Hospizbewegung und der heutigen Palliative Care. Foto: finsterboeses-bayern.de
Du bist bis zum letzten Augenblick deines Lebens wichtig
Was genau ist Palliative Care, und wie genau können Glaube und Kirche dazu beitragen?
Im Kanton Bern werden Palliative-Care- Netzwerke aufgebaut. Das würdevolle Sterben, behütet und betreut, ist ein wichtiges Thema. Was genau aber ist Palliative Care? Wie sehen christliche Perspektiven aus und was können die Kirchen hier beitragen?
Der amerikanische Filmemacher Woody Allen wurde einmal gefragt, was er über das Sterben denke. Er antwortete: «Ich habe nichts gegen das Sterben, ich will einfach nicht dabei sein, wenn es so weit ist.» Dieser Gedanke ist wohl vielen vertraut: Man wünscht, wenn es einmal so weit ist, möglichst rasch und schmerzfrei zu sterben. Dieser Wunsch wird sich jedoch nur bei einer kleinen Minderheit (ca. 5% der Bevölkerung) erfüllen. Viel mehr von uns werden beim Sterben zwei bis drei Jahre «dabei» sein (zum Beispiel mit einem Krebs) oder sie sterben langsam und mit einer Demenzerkrankung. Wenn das Sterben länger dauert oder jemand lebensbedrohlich erkrankt, verändert sich das Leben des Betroffenen, aber auch das seiner Angehörigen, radikal. Man kann nicht mehr weitermachen wie bisher. Das Leben gerät aus den gewohnten Fugen und man spürt, wie sich das Leben der eigenen Kontrolle entzieht.
Palliative Care
Kein Wunder – Betroffene fühlen sich in dieser Situation oft überfordert. Palliative Care ist ein gemeinsamer Ansatz verschiedener Berufsgruppen in Zusammenarbeit mit den Betroffenen: ÄrztInnen, Pflegende, Fachpersonen der spitalexternen Versorgung, PsychologInnen, Seelsorgende, aber auch Freiwillige kümmern sich gemeinsam um schwerkranke Menschen und ihre Angehörigen. Palliative kommt vom Lateinischen palliare und bedeutet «mit einem Mantel bedecken»; Care ist der englische Begriff für «Fürsorge, Betreuung, Aufmerksamkeit». Vielleicht möchte ein Sterbender so lange wie möglich zuhause bleiben, weiss aber nicht, ob die Angehörigen dies schaffen und genug Energie haben oder überfordert sind. Vielleicht entstehen finanzielle Sorgen. Vielleicht spielen Schmerzen oder Ängste vor unerträglichem Leiden eine Rolle. Vielleicht geht es darum, essenzielle Entscheidungen zu treffen und voraus zu planen: «Was machen wir, wenn...». Bei der palliativen Unterstützung geht es darum, für grosse und kleine Anliegen möglichst pragmatische Lösungen zu finden. Diese sollen gleichsam den Bedürfnissen aller Beteiligten entsprechen.
Ein Blick zurück
Die Wurzeln von «Palliative Care» sind alt. Schon im Mittelalter gab es in ganz Europa Häuser, die arme, kranke und sterbende Menschen aufnahmen. Die Kranken wurden dort an Leib und Seele betreut, geheilt oder respektvoll in den Tod begleitet. Diese Häuser nannte man Hospize. Man war inspiriert durch Jesus, von dem erzählt wurde, dass er sich ganz mit Kranken und Sterbenden verbunden hatte – und der darum sagte: «Ich war krank und ihr habt mich besucht.» Diese christliche Sicht der Verbundenheit griff 1967 die Engländerin Cicely Saunders wieder auf. Sie gründete das St. Christopher’s Hospice in London. Im St. Christopher’s erhielten unheilbar kranke und sterbende Menschen nicht nur eine spezialisierte ärztliche Behandlung und pflegerische Betreuung, sondern auch emotionale, spirituelle und soziale Unterstützung. Cicely Saunders wurde zur Begründerin der modernen Hospizbewegung und der heutigen Palliative Care.
Spiritualität beim Sterben
1976 schrieb Saunders das berührende Motto ihrer Sterbebegleitungsvision: «Du bist wichtig, weil du eben du bist. Du bist bis zum letzten Augenblick deines Lebens wichtig. Wir werden alles tun, damit du nicht nur in Frieden sterben, sondern auch bis zuletzt leben kannst.» Zentrale Leitideen sind Lebensqualität und Selbstbestimmung bis zum Schluss. Dabei erkannte Saunders, dass die Begleitung den Menschen nur dann wirklich unterstützt, wenn alle vier Dimensionen berücksichtigt werden: die körperliche, psychische, soziale und spirituelle Dimension. Diese Sichtweise war so einflussreich, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO sie später in ihre Definition von Palliative Care aufnahm. Ein körperlicher Schmerz kann durch existenzielle Nöte mitverursacht werden, wie umgekehrt der Glaube eines Menschen ihm helfen kann, grosse Schwierigkeiten durchzustehen oder auszuhalten. Für viele Menschen sind in einer schweren Krankheit oder im Sterben existenzielle oder spirituelle Fragen wichtig. Vielleicht geraten sie in eine Glaubenskrise, vielleicht erwachen spirituelle Anliegen. Sie stellen sich Fragen wie: Wie kann ich innere Ruhe finden? Wie kann ich mich mit Gott oder mit einer höheren Macht verbinden? Was gibt mir Kraft in der ganzen Unsicherheit? Wohin mit meinen Zweifeln, meiner Angst?
Kirchen bei Palliative Care
Im Kanton Bern entstehen seit Beginn der nationalen palliativen Strategie in allen Spitalregionen palliative Netzwerke. Hier finden sich verschiedene Berufsgruppen und Institutionen zusammen, um schwerkranke Menschen und ihre Angehörigen – oft auch über den Tod des Erkrankten hinaus – umfassend zu unterstützen. Dabei geht es unter anderem darum, dass es für mehr Menschen möglich ist, so wie dies in der Bevölkerung gewünscht wird, zuhause zu sterben. Die Landeskirchen arbeiten in diesen Netzwerken aktiv mit. Sie geben sich ein mit ihren Angeboten (Seelsorge, Unterstützung durch Freiwillige, Trauergruppen und vieles mehr), weil es zu ihrem zentralen Anliegen gehört, die Kranken «zu besuchen», und überhaupt dem Sterben in unserer Gesellschaft wieder mehr Raum zu verschaffen. Damit soll das Sterben wieder aus dem Tabu der heutigen «endlos lebenden» Gesellschaft herausgeholt werden. Prognosen über die Zukunft der Schweiz zeigen, dass künftig der Anteil alter und damit auch sterbender Menschen merklich zunehmen wird. Es wird mehr Menschen brauchen, die bereit sind, beim Sterben anderer dabei zu sein und sie zu unterstützen. Die Palliativbewegung trifft sich mit einem Kern eines christlichen Anliegens: Sterbende besuchen ist nicht nur eine Sache von Spezialistinnen und Spezialisten, sondern Aufgabe für jede und jeden von uns.
Pascal Mösli