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Dünnes Eis

10.05.2012

«Carte blanche» für Felix Klingenbeck


Zu Ostern begnügt sich die Presse mit der Beschreibungen von Ritualen und Bräuchen. Und kirchlicherseits wird der Rede von derAuferstehung oft verstohlen ausgewichenoder man begnügt sich mit Worthülsen. Gefragt nach Ostern zucken die einen die Achseln. Andere wissen, es geht um die Auferstehung. Aber bitte nicht weiterfragen. Die Ratlosigkeit ist gross. Es ist dünn, das Eis. 

Dass das Grab leer gewesen sein soll? Dass Jesus mehrmals rätselhaft erschienen sein soll und dann in den Himmel aufgefahren sei, kann das der Grund, das Zentrale des Christentums sein? Werden diese Erzählungen, die Erfahrungen in Bilder fassen, wortwörtlich genommen, trennen sie Denken und Glauben. Es ist dünn, das Eis.

Der Lebende soll nicht bei den Toten gesucht werden - erwähnt eine Ostergeschichte. Die Frage, ob und unter welchen Umständen das Grab leer gewesen sei, ist nicht zentral. Es soll nicht in den Himmel hinauf gestarrt werden, fordert eine andere Ostergeschichte. Es geht bei Ostern nicht um mirakulöse, dem Denken widersprechende Eingriffe in das Weltgeschehen. Die Ostererzählungen selber weisen daraufhin: Es ist dünn, das Eis.

Wenn es bricht, das dünne Eis, so befindetsich darunter Wasser, das trägt:

  • Aufgestanden wird schon vor Ostern vielfältig(auferstehen als eigenes Wort gibt es inder Bibel nicht): wo Menschen Heilung erfahren, wo Hunger und Durst gestillt wird, wo Menschen eine neue Chance erhalten, wo Ausgegrenzte dazugehören, wo ein Zusammenleben in Würde möglich wird. Wo der Tod mitten im Leben überwunden wird. Auferstehungserfahrungen.
  • Nach Jesu Tod erfahren seine Nächsten, wiedurch die Trauer hindurch neue Hoffnungent steht. Sie erfahren Jesus als gegenwärtig, wo sie in seinem Sinn handeln. Sie erfahrendie Kraft der Liebe, die Kraft Gottes in sich. Es ist dieselbe Kraft, aus der heraus Jesus gelebt hat. Auferstehungserfahrungen.
  • Die Wege der Liebe, der Gerechtigkeit, sie sind in sich sinnvoll. Auch wenn diejenigen, die sie gehen, scheitern und keinen Erfolghaben. Niemand und nichts kann sie ungeschehen machen. Und werden sie noch so verschwiegen, verdreht und diffamiert - sie haben Bestand. Auferstehungserfahrungen.
  • All die kleinen und grossen Auferstehungserfahrungen von Einzelnen und von ganzen Völkern nähren die Hoffnung, dass die Grenze des Todes keine endgültige ist, dass es ein gutes Ende gibt, für jede und jeden und auch für die Welt. Auch das eine Auferstehungserfahrung.

Felix Klingenbeck, Pfarreileiter in der Pfarrei St. Johannes, Münsingen. Autorenportraits