Dürfen Nonnen demonstrieren?

29.04.2015

Anderthalb Bahnstunden von der Schweizer Grenze entfernt liegt die badische Kleinstadt Offenburg. Direkt an den Bahngleisen kurz vor dem ICE-Bahnhof steht das Kloster «Unserer lieben Frau».


Im Sommer die Fenster beim Unterricht zu öffnen ist unmöglich, denn besonders der Güterverkehr macht einen Höllenlärm. Der Orden der Augustiner-Chorfrauen sieht seine besondere Aufgabe in der schulischen Erziehung und Bildung für Mädchen. Zu ihrem Kloster gehören ein Mädchengymnasium und eine Realschule mit insgesamt 1100 Schülerinnen. Als die Deutsche Bahn verkündete, sie wolle die Gleise für den Güterverkehr von zwei auf vier aufstocken, wurde es der Oberin zu bunt. Seit über 40 Jahren gehört Martina Merkle zur Gemeinschaft der Augustiner-Chorfrauen und war bis vor kurzem auch Direktorin der Mädchenschule. Und Schwester Martina im Nonnenkleid ist auch das Gesicht des Widerstandes gegen den Ausbau der Rheintalstrecke, des zweitgrössten Bahnprojekts im deutschen Südwesten nach Stuttgart 21. Sie sammelt Unterschriften, organisiert Demonstrationen, streitet mit Politikern und Bahn-Vorständen. Sie wird zu Talkshows und Radio-Interviews eingeladen, denn ihr Fachwissen ist beeindruckend.
In ihrem Büro stehen mittlerweile 40 Ordner zum Thema. Nach jahrelangem Kampf ist es gelungen, die kurzsichtigen Pläne der Bahn zu stoppen – der Ausbau auf vier Spuren ist kein Thema mehr. Doch es bleibt der alltägliche Lärm der Eisenbahn. So konzentriert sich die Offenburger Bürgerinitiative nun auf Lärmschutz. Meterhohe Schutzbauten werden abgelehnt, gefordert werden neue Technologien mit Lärmschutzwänden von lediglich 38 Zentimetern Höhe, wie sie offenbar bereits erfolgreich in Asien und Sibirien eingesetzt werden. Für das Frühjahr 2016 kündigt die Bürgerinitiative eine neue Grosskundgebung in Offenburg an, bei der sie auf ihr Lärmschutzkonzept aufmerksam machen will. Mutter Martina wird auch hier wieder an vorderster Front mitmarschieren, mit wehendem Schleier, Gottvertrauen und wachem Blick.