Thomas Staubli / Silvia Schroer: Menschenbilder der Bibel Patmos 2014, 690 S., Fr. 46.90 Aspekte des Menschlichen im Alten Testament. Exegetische Erkenntnisse im Kontext der Anthropologie des Alten Orients. Anknüpfungspunkte für Seelsorge und Unterricht Isis und Nephthys. Flügel sind in der altorientalischen Bildsprache mit Schutz und generell grosser Macht verbunden. Samaria, 8. Jh. v. Chr., Israel Museum, Jerusalem. Die Grabherren Nianchchnum und Chnumhotep haben sich in ihrem Grab u.a. dreimal als sich umarmendes Paar darstellen lassen. Sie waren verheiratet und hatten Kinder, liessen ihre Freundschaft aber verewigen. Grabrelief um 2350 v. Chr., Saqqara. Abbildungen aus dem Buch
Ein Buch, das verführt
Das Buch über Menschenbilder der Bibel des Theologenpaares Silvia Schroer und Thomas Staubli verführt – nämlich zum zweckfreien Blättern!
Wie von allein übernimmt die Neugier das Steuer. Seite um Seite breiten sich farbenfroh Details des Lebens im antiken Palästina aus. Das Buch tritt ein in die Sprache, geduldig, Detail für Detail, die damals vom Menschen sprach. Die oft erstaunlichen Einzelheiten verhindern, dass unser Selbstverständnis sich über das Zeugnis der Schrift stülpt.
Zum Beispiel! In Gen 1 schwebt der Geist nicht über den Wassern, er rüttelt dynamisch wie ein Falke. – Den Tieren fühlt sich Israel eher verwandt als überlegen. Anders Griechenland, von hier kommt die Verwendung von Tiernamen als Schimpfworte. – Auch andere altorientalische Kulte sprechen die Gottheit als Vater an; es war zur Zeit Jesu ganz üblich, Gott als abba (Papa) anzusprechen. – Und was hat es mit Kerubim und Serafim auf sich? – Was sagt die Bibel über Homosexualität (z. B. 2 Sam 1,26)? Die Liebe, agape, lässt sich nicht in Gegensatz zum eros stellen, der in der Bibel gar nicht vorkommt. Agape schliesst Verliebtheit und erotische Anziehungen ausdrücklich ein – Joh 4 und 20, Lk 7. Das Buch lebt vom reichen altorientalischen Bildmaterial. Dieser Zugang zur Bibel führt das Erbe des bedeutenden Fribourger Pioniers Othmar Keel weiter. Die Körperlichkeit, ihre Schönheit und Anziehung ist in der Bildwelt des Alten Orients und Israels allgegenwärtig. Sie erzählt von der Erfahrungswelt des Menschen als Ganzer, nicht von einem abgetrennten intellektuellen Bereich. Das Werk nimmt Einsichten aus vielen Wissenschaften auf, etwa aus Paläontologie und Sozialanthropologie. Gender-Aspekte sind ihm wichtig, und es hat einen Blick für soziale Benachteiligung und verborgene Unterdrückung.
Das Werk sieht kein einheitliches Menschenbild der Bilder, es sieht nur Menschenbilder im Plural. Angesichts der Länge des Zeitraums, der Vielzahl der Einflüsse und Erfahrungen kann das nicht anders sein. Das Buch gibt dem Vielen, Widersprüchlichen und Bruchstückhaften einer lebendigen Überlieferung sein Recht: die Aufgabe eines historischen Buchs. Gibt es dabei Aspekte des Menschen, die sich durchhalten? Ja – Menschsein vollzieht sich immer eingebunden in Beziehungen, konkret in Raum und Zeit, ist immer Menschsein vor Gott (15). Das heisst, es gibt ein lebendiges Bezogensein auf ein Gegenüber, das anspricht, sucht und fordert. Hier ist ein Band gegeben, das durch alle Zustände hindurch trägt. Nur so tritt uns aus der Bibel eine lebendige Identität, eine Kontinuität entgegen, die dem Selbstverlust der Zerrissenheit etwas entgegenzusetzen hat. Ein systematisches Menschenbild, aus der Tragfähigkeit der Beziehung entwickelt, widerspricht dem biblischen Erbe also nicht von vornherein.
Das Werk gibt einen tragfähigen und umfassenden Zugang in die biblische Welt, geordnet in 80 menschenfreundlich kurze Kapitel. Sorgfältige Register erlauben, Informationen schnell zu finden. Ich empfehle das schöne Buch des Könizer Theologenpaares gern ohne Weiteres auch für Nichttheologen. Neugierige PredigthörerInnen etwa können hier leicht Zusammenhänge nachschlagen und sich ein eigenes Bild machen.
Thomas Philipp, Dr. theol.