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Ein Buch mit sieben Siegeln
Pastoralraum Oberaargau: Gedanken über das Buch der Bücher
Für viele ist die Bibel ein Buch mit sieben Siegeln: schwer zu lesen, schwer zu verstehen und schwer zu verdauen.
Von Niklaus Hofer
Die meisten haben in der Regel eine oder mehrere Bibeln zu Hause im Büchergestell, vielleicht sogar mit unterschiedlichen Übersetzungen, aber es sind wohl eher wenige, die sie von Zeit zu Zeit zur Hand nehmen und darin lesen.
Die Bibel ist in sich selbst bereits eine kleine Bibliothek, ein Buch mit Büchern, verschiedene Autoren aus ganz unterschiedlichen Epochen, verfasst von Menschen aus längst vergangener Zeit, die in einer Gegend gelebt haben, deren Lebenswirklichkeit uns nun wirklich nicht vertraut ist. Eines aber ist diesen Autoren gemeinsam; sie schreiben alle von dem einen Gott. Sie erzählen, wie dieser Gott der Gott des Volkes Israel geworden ist, und versuchen die Beziehung zwischen dem Volk Gottes und seinem Gott nachzuzeichnen.
Die Schriften geben immer wieder sehr persönliche Glaubenszeugnisse dieser Beziehung von Gott und Mensch. Es ist dieser eine Gott, der aus dieser ganzen Sammlung an Büchern die Einheit der Bibel ausmacht. Er hält dieses Buch aus Büchern zusammen. Daraus erklärt sich auch, wieso der erste und wichtigste Zugang zu den heiligen Schriften der Glaube an diesen Gott ist.
Rein schrift-hermeneutisch wären wir am Anschlag. Diese alt-orientalische Welt würde uns ohne den Glauben an Gott ewig fremd und unzugänglich bleiben, trotz aller Wissenschaft. Die dogmatische Konstitution «Dei Verbum» des Zweiten Vatikanischen Konzils drückt diese Einsicht folgendermassen aus: «Was in der Heiligen Schrift enthalten ist und vorliegt, ist unter dem Anhauch des Heiligen Geistes aufgezeichnet worden» (DV11); «Deshalb muss die Heilige Schrift in dem Geist gelesen und ausgelegt werden, in dem sie geschrieben wurde» (DV12).Das erste, wichtigste Siegel, das geknackt werden muss, um das Geheimnis der Heiligen Schriften zu erforschen, ist also der Heilige Geist. Wir müssen die Schrift mit seiner Hilfe, sozusagen durch seine Augen hindurch, lesen.
Anders ausgedrückt: Wir müssen diese Texte betend lesen. Das Studium der Theologie ist gut und hilfreich, aber keine Grundvoraussetzung, um sich an die biblischen Texte zu wagen. Weit entscheidender ist, dass man glaubend und betend an diese Texte geht. Diese Texte wollen in erster Linie nicht Wissen vermitteln, sondern uns in eine Beziehung führen, die Beziehung mit dem lebendigen Gott.
Wenn Sie das nächste Mal die Bibel zur Hand nehmen, denken Sie daran, sprechen Sie ein Gebet, bitten Sie den Heiligen Geist um Hilfe, lesen Sie betend und lassen Sie sich führen. Sie werden feststellen, dass mit jedem Mal die Beziehung zu Gott lebendiger wird und an Tiefe gewinnt. Und dann kommt der Moment, wo diese Texte Sie nicht mehr loslassen, wo Sie nach dem Wort dürsten und hungern, weil es Ihnen zur Nahrung geworden ist.