«In der Seelsorge geht es nicht in erster Linie um Theologie.» Zeadin Mustafi, muslimischer Seelsorger am Inselspital Bern. Foto: Sylvia Stam
Ein muslimischer Seelsorger für alle
Der Mensch kommt vor der Religion.
Zeadin Mustafi ist muslimischer Seelsorger am Inselspital Bern – der erste fest angestellte in einem öffentlichen Schweizer Krankenhaus.
Autorin: Sylvia Stam
«Es geht um den Menschen.» Zeadin Mustafi, muslimischer Seelsorger am Inselspital in Bern, sagt diesen Satz mehrmals im Verlauf des Gesprächs. Als Seelsorger ist er für alle im Spital da, die jemanden brauchen, der ihnen zuhört – unabhängig von ihrer Konfession. Dennoch gebe es Situationen, in denen ein muslimischer Geistlicher gefragt sei, deshalb sei die Stelle – vorderhand zehn Prozent – geschaffen worden. «Ich bin in erster Linie für die Patient*innen da, aber auch für deren Angehörige und das Pflegepersonal», erläutert der 38-jährige Familienvater.
So werde er beispielsweise gerufen, um bei Sterbenden bestimmte Koransuren zu rezitieren. Auch sei es für gläubige Muslime wichtig, vor dem Sterben das Glaubensbekenntnis zu sprechen: «Es gibt keinen Gott ausser Allah, und Mohammed ist sein Prophet.» Als Seelsorger könne er sterbende Patient*innen daran erinnern.
«Ein Seelsorgeangebot hat sich in muslimischen Ländern noch nicht ganz etabliert», sagt Mustafi, der in seiner nordmazedonischen Heimatstadt Skopje eine Ausbildung zum Imam absolviert und in der Türkei Theologie studiert hat. Er hat zudem an der Universität Wien Religionspädagogik studiert und dort einen zertifizierten Lehrgang in muslimischer Spitalseelsorge abgeschlossen.
Seelsorger, nicht Imam
Obschon er auch die Freitagsgebete in der albanischen Gemeinde seines Wohnorts Freiburg leitet, ist es ihm wichtig, im Spital nicht als Imam, sondern als Seelsorger gesehen zu werden: «Imame haben einen theologischen Auftrag den Menschen gegenüber.» In der Seelsorge hingegen gehe es nicht in erster Linie um Theologie. Sie könne eine Rolle spielen, müsse aber nicht. «Die Aufgabe einer muslimischen Seelsorge besteht vor allem darin, die Situation zu erfassen und erst dann zu handeln.» Deshalb sei es wichtig, dass es in einem Spital eigene muslimische Seelsorger*innen gebe, so Mustafi.
Für die Angehörigen sei seine Anwesenheit oft sehr entlastend: «Sie schätzen es, dass jemand die Koranverse rezitiert. Einmal wurde ich sogar gebeten, dem Verstorbenen den Mund zu schliessen, ein Ausdruck von Respekt und Dankbarkeit mir gegenüber.»
Übersetzen und vermitteln
Darüber hinaus leistet Mustafi interkulturelle Übersetzungs- und Vermittlungsarbeit. Das Pflegepersonal etwa habe einen grossen Wissensbedarf im Umgang mit muslimischen Patient*innen. Schon mehrmals habe er deshalb eine interne Fortbildung durchgeführt. Hier erläutert er beispielsweise, dass Krankenbesuche für Muslim*innen eine hohe Pflicht sind – ein Fakt, der auf der Intensivstation unter Umständen zur Belastung für das Personal werden kann. Oder er erklärt, dass Muslim*innen mit dem Blick nach Mekka sterben möchten. «Einmal hat mich eine Pflegerin gefragt, ob sie einem muslimischen Patienten, dem infolge einer Chemotherapie die Haare ausfielen, den Kopf mit einem Tuch bedecken dürfe.» Das darf sie, erklärt Mustafi, der grossen Respekt vor dem Pflegepersonal hat: «Sie stellen die Menschenwürde ins Zentrum», sagt er anerkennend. «Ich schätze das sehr.»
Zeadin Mustafi spricht Albanisch, Mazedonisch, Türkisch und Deutsch, er versteht Bosnisch, Serbisch und ein wenig Arabisch. Er absolviert derzeit ein Praktikum auf der Fachstelle Migration der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Hinzu kommen ehrenamtliche Tätigkeiten in muslimischen und interreligiösen Gremien. Der Ehemann und Vater zweier Teenager bedauert daher, nicht viel Freizeit zu haben. «Aber ich bin sehr glücklich über all die Möglichkeiten, die ich hier habe», sagt er lachend.
Weiterbildungen in muslimischer Spitalseelsorge
Das Institut für Praktische Theologie der Universität Bern bietet Studiengänge in Spital- und Klinikseelsorge (SPKS) sowie in Clinical Pastoral Training (CPT) an. Ab März 2021 können auch Muslim*innen ohne Hochschulabschluss einen Antrag auf reguläre Zulassung stellen. Diese ermöglicht einen universitär zertifi- zierten CAS-Abschluss. Das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft der Universität Freiburg bietet seit September 2020 den CAS «Muslimische Seelsorge in öffentlichen Institutionen» an, der sich an Seelsorger*innen in Spitälern, Asylzentren und Gefängnissen richtet. Für die Aufnahme sind ein Hochschul- oder gleichwertiger Abschluss und eine mehrjährige ehrenamtliche oder berufliche Erfahrung in einem der Bereiche nötig.