2020: Kardinal Kurt Koch. Foto: Mario Galgano

Ein offenes Herz für die Ökumene

09.01.2020

Zum 70. Geburtstag von Kardinal Kurt Koch

Am 15. März feiert der einzige Schweizer Kurienkardinal seinen 70. Geburtstag. Kardinal Kurt Koch ist im Vatikan für die Ökumene und den Dialog mit der Judenheit zuständig. Als Präsident des «Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen» begleitet er die Vertretenden anderer Konfessionen bei Papst-Audienzen, vertritt Franziskus in verschiedenen ökumenischen Dialogkommissionen und Gesprächsgruppen. Der Schweizer Kirchenmann, den noch vieles mit seiner Heimat verbindet, im Interview.


von Mario Galgano, Rom


Wenn Sie auf Ihren bisherigen Lebensweg zurückblicken, was waren für Sie die Momente, die Ihnen besonders am Herzen liegen?

Mein bisheriges Leben besteht aus vielen Überraschungen. Nach drei reichen Jahren als Vikar an der Marienkirche in Bern habe ich mich in Luzern der theologischen Wissenschaft gewidmet. Darin habe ich meine Bestimmung und meine Aufgabe gesehen. Nach nur sechs Jahren bin ich dann Bischof von Basel geworden, und nach weiteren fünfzehn Jahren bin ich nach Rom berufen worden, um mich der weltweiten Kirche der Ökumene zu widmen. Bei diesen verschiedenen Aufgaben stellen sich auch unterschiedliche Herausforderungen; dennoch ist die Berufung dieselbe geblieben. Bei allen diesen Weichenstellungen ist es mein Hauptanliegen gewesen, die kostbare Botschaft des christlichen Glaubens in der Gemeinschaft der Kirche zu fördern und an die Menschen heute weiterzugeben.

Die Katholische Kirche hat sich seit 1950 sehr gewandelt. In Ihrer Jugend fand das Zweite Vatikanische Konzil statt. Welche persönliche Erinnerung haben Sie daran?

Als das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet worden ist, habe ich in Luzern das Gymnasium begonnen. Während der ganzen Dauer des Konzils habe ich es aufmerksam verfolgt und bin überzeugt gewesen, dass es der Kirche einen neuen Frühling bringen wird. Es ist für mich nach wie vor die Magna Charta der Katholischen Kirche auch im dritten Jahrtausend. Mit ihm ist die Katholische Kirche erneuert worden, es hat uns aber nicht, wie heute oft behauptet wird, einen neuen Glauben und eine neue Kirche gebracht. Damit es auch heute fruchtbar werden kann, ist es angezeigt, seine verabschiedeten reichen Dokumente erneut zu lesen und sich anzueignen.

Wie haben Sie Ihre priesterliche Berufung erlebt? Und welchen Ratschlag würden Sie einem jungen Katholiken in der heutigen Zeit geben, der nicht sicher ist, ob er dieser Berufung folgen sollte?

Den Gedanken, Priester zu werden, hatte ich bereits in der ersten Schulklasse, weil ich einem autenthischen Pfarrer begegnen durfte, der mich überzeugt hat. Natürlich hat sich im Laufe der Schulzeit der Gedanke modifiziert, die Berufung jedoch ist geblieben. Ein junger Katholik hat es heute gewiss nicht mehr so leicht wie damals, wenn er sich mit demselben Gedanken trägt. Ich würde ihm raten, seine Berufung immer wieder im Gebet mit Gott zu erwägen und sie auch mit Mitchrist*innen zu besprechen. Wenn er zur inneren Gewissheit kommt, dass es sich um eine Berufung handelt, würde ich ihn gerne ermutigen, da ich keinen schöneren, reichhaltigeren und vielfältigeren Beruf kenne als denjenigen des Priesters.

Sie sind im Vatikan für die Ökumene zuständig. Früher waren Sie in der Berner Pfarrei St. Marien tätig, wo die Ökumene zum Alltag gehört. Heute leben Sie in Rom, wo die ökumenischen Herausforderungen anders aussehen als in Ihrer alten Heimat. Wie versteht der Vatikan den ökumenischen Dialog?

Wir haben in der Katholischen Kirche den grossen Vorteil, dass sie mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in offizieller Weise in die ökumenische Bewegung eingetreten ist und dass seither alle Päpste von Johannes XXIII. bis zu Franziskus ein offenes Herz für die Ökumene haben und sie fördern. Ich bin ja auch eigens nach Rom berufen worden, um mich im Auftrag des Papstes diesem Anliegen zu widmen. Von daher muss ich im Vatikan nicht um Verständnis für den ökumenischen Dialog werben. Was die Situation in Rom von der in der Schweiz unterscheidet, ist dies, dass Ökumene nicht nur Dialog zwischen Katholik*innen und Reformierten bedeutet, sondern dass wir Dialoge mit ungefähr zwanzig verschiedenen Kirchen und Gemeinschaften führen, und zwar in der Überzeugung, dass eine Einheit, die nicht das Ganze im Auge behält, wieder neue Spaltungen schaffen könnte, und dass deshalb zur Einheit auch Ost und West gehören. Dieser Reichtum weitet den Horizont, und ich habe dabei viel dazu gelernt.

Wo sehen Sie heute die grössten Herausforderungen in der Ökumene?

Eine grosse Herausforderung erblicke ich darin, dass immer neue Dialogpartner*innen in die ökumenische Bewegung eintreten. Heute stellen wir vor allem ein enormes Wachstum von evangelikalen und pentekostalischen Bewegungen fest. Der Pentekostalismus ist heute die zweitgrösste Realität nach der Katholischen Kirche. Damit hat sich die weltweite Geografie der Christenheit tiefgreifend verändert, und die ökumenische Situation ist unübersichtlicher geworden. Damit hängt auch zusammen, dass die verschiedenen Partner*innen in der ökumenischen Bewegung in recht unterschiedlicher Weise verstehen, was zur Einheit der Kirche gehört. Das Problem besteht dann darin, dass man sich weithin einig ist über das Dass der Einheit, aber uneinig über das Was. Deshalb muss neu um eine gemeinsame Sicht des Ziels der Ökumene gerungen werden.

Und wo sind Ihrer Meinung nach die schwierigsten Felder innerhalb der Katholischen Kirche?

Die Katholische Kirche ist heute – mit Recht – stark an der Aufarbeitung der belastenden Hypothek der sexualisierten Gewalt an Kindern und dem Wiedergewinnen von neuem Vertrauen beschäftigt. Auch in pastoraler Hinsicht stehen wir vor grossen Veränderungen, die wir mit Gottvertrauen wahrnehmen sollten. Die grundsätzliche Herausforderung besteht darin, wie es der Kirche gelingt, die schöne Botschaft des Evangeliums in einer immer mehr säkularisierten Gesellschaft so zu verkünden, dass sich auch der Mensch von heute in seinem Innern angesprochen weiss. Dies gelingt nur, wenn die Verkündigung des Glaubens ursprungsgetreu und zeitgemäss zugleich vollzogen wird. Denn die Botschaft können wir nicht neu erfinden, sie ist uns in der Offenbarung vorgegeben; aber sie muss so in die heutige Zeit übersetzt werden, dass sie vom heutigen Menschen verstanden werden kann.

Was wünschen Sie sich von den Katholik*innen in Bern und allgemein in der Schweiz?

Ich wünsche, dass die Katholik*innen in der Schweiz bei allen Problemen, die in der heutigen Kirche vorhanden sind, die Freude am Glauben vertiefen können. Denn das erste Wort, mit dem das Neue Testament beginnt, ist ein Wort der Freude; und Freude ist der zentrale Inhalt des Evangeliums. Das Christentum ist in seinem innersten Kern Freude, ja göttliche Ermächtigung zur Freude. Mit diesem Vorzeichen erhalten wir auch die Kraft, die grossen Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, in ökumenischer Gemeinschaft anzugehen. Zudem hoffe ich, dass die Katholik*innen in der Schweiz die Universalität der Katholischen Kirche nicht als Belastung, sondern als Bereicherung empfinden können.

 


Kurt Koch: Der Wissenschafter

Kurt Koch wurde am 15. März 1950 in Emmenbrücke LU geboren. 1975 schloss er sein Studium der katholischen Theologie in Luzern und München ab und wurde wissenschaftlicher Assistent an der theologischen Fakultät in Luzern. Der Autor zahlreicher Monografien wurde 1987 Mitautor der Schweizerischen Kirchenzeitung und erhielt im selben Jahr die Doktorwürde in Theologie. 1989 wurde er Professor für Dogmatik und Liturgiewissenschaft und ab 1995 Dekan der Theologischen Fakultät und Rektor der Hochschule Luzern.

Kurt Koch: Der Kirchenmann
1982 wurde Kurt Koch zum Priester und 1996 zum Bischof des Bistums Basel geweiht, zu dem auch der Kanton Bern gehört. Sein Wahlspruch: «Christus hat in allem den Vorrang.» Seit 2010 ist Kurt Koch Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christ*innen. Als «Ökumeneminister des Vatikans» ist Koch Kurienkardinal mit dem Titel Erzbischof ad personam.