Ein Ort des Friedens in spannungsreichen Zeiten

Seit zehn Jahren steht das Haus der Religionen am Europaplatz im Westen Berns. Drei Menschen erzählen von ihrem Alltag in diesem besonderen Haus.


«Es kommen immer  mehr Menschen zu uns,  um sich zu treffen.» Schon vor Ort, wenn alle anderen  noch schlafen: Lula Kbrom. 

Text und Fotos: Vera Rüttimann

Acht Uhr am Morgen in der Küche des Restaurants Vanaka im Haus der Religionen. Geschirr klappert. Sasikumar Tharmalingam spült, schält Gemüse und rührt Saucen an. «Ich entscheide jeden Tag spontan, was ich koche», sagt der Mann mit dem schwarzen Wuschelkopf und lacht. «Sasi», wie er hier genannt wird, ist Chef der ayurvedischen Küche und Oberpriester im Hindutempel. Gleichzeitig arbeitet er als tamilischer Seelsorger.

Alle beteiligen sich

Die Vorbereitungen für die bevorstehenden Feierlichkeiten zum zehnjährigen Jubiläum laufen auf Hochtouren. Es werde einen internationalen Brunch geben, sagt Sasi. Alle Kulturen der Welt werden ihr Essen mitbringen. «Welche Nation macht den Nachtisch? Wer die Vorspeise? Es gibt viel zu planen», sagt er.

Für Sasi und seine hinduistischen Kolleg:innen ist das Haus der Religionen der richtige Ort: «Wir sind eine neue Generation von Hindus, die für einen modernen, progressiven Hinduismus stehen.»

Wenn der Tamile nicht in der Küche arbeitet, findet man ihn im Hindutempel, wo Gottheiten wie Shiva, Shakti oder Parvati stehen. Er bereitet Dinge wie Milch und Honig für die Puja-Zeremonie vor. Er schaut nach, ob genug Rosenblätter da sind und ob der Gabentisch für die Früchte gedeckt ist. Noch heute freut er sich über den Hindutempel: «Die Innengestaltung durch bekannte indische Künstler mussten wir selbst machen und bezahlen. Die ganze tamilische Familie hat dafür Geld gesammelt.» Seit zehn Jahren empfängt er hier Studierende, Rentner oder Diplomatinnen.
 


So könnte die Welt sein

Die aktuelle Weltlage macht auch Sasi zu schaffen. Deshalb ist sein Arbeitsplatz, an dem acht Weltreligionen vertreten sind, für ihn ein Symbol des Friedens. «Wir können trotz unterschiedlicher politischer und religiöser Hintergründe als Menschen zusammenleben», sagt er. So sollte auch die globalisierte Welt funktionieren.

Besonders freut sich Sasi auf die Buchvernissage «Die Welt am Europaplatz». «Da sind viele schöne Momente drin, an die ich mich erinnere», sagt er. Der Hindu-Priester empfindet Freude darüber, «dass ich mit anderen an diesem Pionierprojekt beteiligt bin».

Christine Thielmann empfängt die Gäste im Haus der Religionen mit einem Lächeln. Sie ist eines der Gesichter an der Rezeption. Alle zwei Wochen arbeitet sie hier, im Wechsel mit anderen Ehrenamtlichen. «Hier erlebe ich viele interessante Begegnungen, aus denen sich manchmal bereichernde Gespräche entwickeln», sagt die 67-Jährige, die vor ihrer Pensionierung als Sozialdiakonin und Erwachsenenbildnerin in der reformierten Kirche gearbeitet hat.

Die Welt zu Gast in Bern

Nach ihrer Ausbildung arbeitete sie in Indien und Bangladesch. «Ich habe dort wunderbare Gastfreundschaft erleben dürfen. Ebenso den Reichtum und die Schönheit mir bisher fremder Kulturen und Religionen.» Das sei für sie eine prägende Erfahrung gewesen, die sie nun hier im Haus der Religionen wiedererlebe.

Im Haus der Religionen hat Christine Thielmann viele berührende und lehrreiche Veranstaltungen miterlebt. Am 7. Oktober 2023 griffen Terroristen Israel an. «Danach gab es hier ein gemeinsames Friedensgebet mit Vertreter:innen der jüdischen, muslimischen und christlichen Gemeinden», sagt sie. Die Rentnerin erlebt das Haus der Religionen als einen Ort, an dem Menschen sich respektieren und das Verbindende suchen. «Gerade in diesen spannungsgeladenen Zeiten ist der interreligiöse Austausch so wichtig.»
 


Immer mehr Menschen nutzen das Angebot

Lula Kbrom beginnt ihre Arbeit um vier Uhr morgens – viele Stunden bevor Sasi in der Küche mit dem Kochen beginnt, Christine Thielmann die ersten Gäste begrüsst oder die Mitarbeit:innen in den verschiedenen Büros ihre Laptops aufklappen. Lula arbeitet seit 2019 als Reinigungskraft im Haus der Religionen.

Wenn sie frühmorgens beginnt, wischt die 55-Jährige Stühle und Tische des Restaurants. Sie reinigt Böden, Toiletten oder die grossen Fenster, die die Architektur des Hauses prägen. Bevor die Gläubigen ihre Gebetsräume betreten, reinigt Luna die goldenen Figuren und Schalen im Hindutempel, die grossformatigen Bilder bei den Christ:innen, die Thora bei den Juden und Jüdinnen und oder saugt den riesigen Teppich bei den Menschen islamischen Glaubens.

Dass das Haus der Religionen floriert, merkt sie daran, dass es immer voller wird: «Ich habe mehr zu tun als früher. Es kommen immer mehr Menschen zu uns, um sich zu treffen oder Workshops zu besuchen.» Während sie fegt, wuseln Schulklassen, Rentner:innen oder Gläubige um sie herum. «Dass ich hier so viele Menschen aus so vielen verschiedenen Ländern und Religionen treffen kann, macht mich sehr glücklich», sagt Lula.

Auch sie freut sich auf die Jubiläumswochen im Oktober. «Ich werde jeden Tag hier sein», sagt sie. Als Putzfrau wird sie mehr Arbeit haben, aber das macht ihr nichts aus. «Ich bin sehr glücklich, an so einem Ort arbeiten zu dürfen.»
 

 

Zum Jubiläum finden zwischen dem 20. Oktober und dem 14. Dezember zahlreiche Veranstaltungen im Haus der Religionen statt. Das Programm kann online eingesehen werden.

Strategie für die Zukunft

Für die Zukunft will das Haus der Religionen (HdR) die Zusammenarbeit unter den Religionsgemeinschaften soll intensivieren, beispielsweise durch gemeinsame grosse Projekte wie das aktuelle Jubiläumsprogramm oder die Teilnahme an der Nacht der Religionen. Dabei soll vermehrt auch die jüngere, zweite Generation von eingewanderten Religionsgemeinschaften einbezogen werden, erläutert Johannes Matyassy, Präsident des HdR. Bei den Gruppenführungen soll ein Fokus auf Schulen und Studierenden, bei den Bildungsangeboten auf den Bereich Sicherheit (Schulungen für Polizeipersonal) liegen. Die Finanzierung soll breiter abgestützt werden, indem eine Zusammenarbeit mit dem Kanton angestrebt wird. Neu will das HdR Konfessionslose stärker ansprechen und die Kommunikation ausbauen. Die konkreten Ziele und deren Umsetzung sind in Ausarbeitung.  sys