Die Organisatoren: Diakon Patrick Erni, Imam Azir Aziri und Hans Weber von der Pfarrei St. Marien Thun.

Eine Atmosphäre des Friedens

16.11.2018

Ein hoffnungsfrohes Zeichen des Dialogs zwischen Islam und Christentum.

Ein aussergewöhnliches Zeichen des Dialogs zwischen Islam und Christentum setzten gut 150 Menschen am 4. November in Thun. Die katholische Pfarrei St. Marien organisierte zusammen mit der Moschee IKRE-Thun das erste gemeinsame Friedensgebet in der alten Schadaugärtnerei – eine hoffnungsfrohe Veranstaltung.

Text und Fotos: Christina Burghagen


«Wir haben nicht mit einer so grossen Resonanz gerechnet», freute sich Hans Weber. Die Organisatoren Diakon Patrick Erni und Hans Weber, die gemeinsam das Forum-Utopia für den interreligiösen Dialog leiten, zeigten sich überwältigt vom Interesse der muslimischen Gemeinde mit Imam Azir Aziri. Doch auch Christ*innen folgten der Einladung.

Rund 150 Gäste beider Glaubensrichtungen demonstrierten mit dem Friedensgebet, dass Muslime in Thun zur konstruktiven Mitarbeit mit Christen bereit sind und umgekehrt. Ein älterer Mann suchte Hans Weber auf und sagte ergriffen: «Ich bin nun vierzig Jahre in der Schweiz und bis zum heutigen Tag gab es keinen gegenseitigen Dialog, es ist einfach wunderbar.» Die Stadt Thun bewilligte und unterstützte die Veranstaltung auf entgegenkommende Weise, betonte Weber.

Füreinander beten

Das Motto des Friedensgebetes mit Muslimen und Christen hiess: «Nicht miteinander, sondern füreinander beten!» Damit sollte der gegenseitige Respekt bezeugt werden. Wie eine Umfrage seitens der Organisatoren unter den Teilnehmenden ergab, waren alle der Überzeugung, mit diesem Gebet ein Zeichen gesetzt zu haben. «Je offener wir uns gegenseitig akzeptieren, desto weniger Vorurteile werden generiert», ist sich Weber sicher.

Die muslimischen Mitmenschen
seien verunsichert und litten unter den einseitigen Medienmeldungen. Positive Zeichen aus dem Bereich des Islam wären sicher zu jederzeit zu vermelden, diese seien jedoch uninteressant und lägen nicht im Trend einiger Medien. Diese Art der Berichterstattung versucht Imam Aziri zu ignorieren. Er verweist so viel wie möglich auf den Koran, der Feindschaften zwischen den monotheistischen Religionen grundsätzlich ablehne.

Reger Dialog untereinander

In der Schadaugärtnerei bot sich ein erstaunliches Bild. Die Freifläche zierten drei meterlange Bahnen mit weissen Planen, einer Art Gebetsteppich-Ersatz. Beim Gebet mit Imam Aziri schauten die Christ*innen fasziniert zu – für sie war es vermutlich das erste Mal, dass sie ein islamisches Gebet miterleben durften. Danach beteten die Angehörigen der Christlichen Gemeinde unter der Leitung von Sonja Lofaro, Seelsorgerin in der Pfarrei St. Marien.

Nun folgten die Angehörigen der islamischen Gemeinde gespannt dem Geschehen. Der Thuner Imam Azir Aziri hielt seine allererste deutschsprachige Predigt an alle Gäste. Diakon Patrick Erni folgte mit seiner Predigt für alle und lud anschliessend zum interreligiösen Dialog ein. Die muslimischen Frauen mischten sich unter die anwesenden Christinnen und verteilten kleine Spezialitäten aus ihren Herkunftsländern. Schnell entstand eine Atmosphäre des Friedens und gegenseitiger Achtung.

Diakon Erni, Imam Aziri und Hans Weber beobachteten zufrieden den regen Kontakt zwischen Christen und Muslimen. «Wir haben unser Ziel erreicht, dass es zum ersten Mal nicht hiess: Man sollte. Man könnte. Man müsste. Sondern es hiess: Wir machen!» So freute sich Mit-Initiant Weber. Es gebe eine starke Bewegung zur gegenseitigen Akzeptanz und zum Dialog an der Basis unserer Moscheen und Kirchen. Manchen Menschen standen während der Gebete und Predigten Tränen in den Augen.

Wichtiger Abbau von Vorurteilen

Die katholische Pfarrei St. Marien Thun pflegt seit längerer Zeit einen vielversprechenden Kontakt mit dem Islamischen Kulturzentrum IKRE in Thun. Es sei nicht leicht gewesen, mit den Muslimen in Thun den Dialog auf gleicher Augenhöhe einzuleiten, erzählt Hans Weber, Leiter des Forum-Utopia für interreligiösen Dialog. Die negativen Berichte über das Wesen des Islams und die Verbrechen des IS hätten Spuren hinterlassen.

Viele Mitchristen seien der Ansicht, dass alle Muslime nur die Vernichtung von Christen im Sinn hätten, wie immer wieder zu hören sei. Nach langem Zögern seitens der IKRE habe er sich mit dem Imam von Thun in der Moschee getroffen. Die Bedenken seitens des Islamischen Kulturzentrums hätten mit verzerrenden Medienberichten zu tun. Deshalb sei der Kontakt vermieden worden. Doch Hans Weber und Imam Azir Aziri wurden gute Freunde. Trotz religiös unterschiedlicher Glaubensauffassung verstanden sie sich sofort als gleichberechtigte Partner. Es folgte ein intensiver Informationsaustausch.

Begegnung mit europäischen Muslimen

Die Gläubigen der Moschee IKRE in Thun stammen aus dem Gebiet des Balkans. Sie unterstreichen, dass sie nicht Araber, sondern Europäer sind, und sich sehr gut in die Schweizer Gesellschaft integriert hätten. Imam Aziri sei ein starker Verfechter für die Wertevermittlung an die jungen Menschen, so Weber. Die IKRE-Thun zeige ebenfalls grosses Interesse an einer gemeinsamen Jugendarbeit. Denn der gegenseitige Kontakt jugendlicher Menschen der christlichen und islamischen Welt helfe Vorurteile abzubauen und sei besonders wertvoll für die Zukunft auch in der Region Thun. Es dürfe nicht ausser acht gelassen werden, führt Weber weiter aus, dass unsere muslimischen Freunde stark gefordert seien.

Integration gehe quer durch die muslimischen Familien. Viele Kinder sprächen Deutsch und würden die Sprache ihrer Eltern verdrängen. Dies bringe auch Irritation in die muslimische Gesellschaft. «Wir Christen müssen uns auch hier Hilfe anbieten», ruft Weber auf. Die Muslime könnten zum Beispiel im Sozialbereich vieles einbringen. Hans Weber, der im Thuner Bundesasylzentrum als Vertreter der Kirchen Asylsuchende betreute, ist zuversichtlich: «Nun haben wir verschiedene Türen geöffnet. Wir bleiben dran und gehen den eingeschlagenen Weg miteinander weiter.»

Christina Burghagen


Die Predigt des Imams Azir Aziri als PDF zum Download

Radio BeO, Sendung Chilestübli. Bericht über das Thuner Friedensgebet: «In Thun beten Christen und Muslime gemeinsam ein Friedensgebet.»