Die unvollendete serbisch-orthodoxe Kirche in Prishtina

Eine Stadt und ihre (Leidens-)geschichte

11.09.2023

Erinnerungen an Prishtina

Ein kleines, blaues Mosaikstück ist mit mir aus dem Kosovo zurückgereist. Ich trage es oft bei mir, wenn ich unterwegs bin. Ich fühle es, wenn ich in meine Tasche fasse und halte es oft einfach in der Hand, während ich durch Bern spaziere.

Text und Fotos von Silvan Beer

Dabei lasse mich vom kühlen glatten Stein an die Zeit im Kosovo, an all die Begegnungen und Erlebnisse erinnern – an die lange Reise im Auto mit meinem Bruder in seinem kleinen roten Auto, das uns so gute Dienste erwiesen hat. An unsere Gespräche über Gott und die Welt und alles dazwischen, wie ich sie nur mit ihm führen kann. Die Nacht auf der Fähre, die wir an Deck unter dem Sternenhimmel verbracht haben. Das Essen, die Hitze, der Schweiss, das Meer.

Und immer wieder denke ich an Prishtina, diese wunderbare Stadt, die sich irgendwo zwischen verschlafen und chaotisch, Ost und West, tief in alten Traditionen verankert und der Zukunft entgegeneilend, charmant verlottert und hässlich boomend befindet.

Ein Stück der Kirche

Das Steinchen stammt von einem nie zu Ende gebauten Brunnen vor der Mutter-Teresa-Kathedrale. Zuhauf liegen die blauen Viereckchen da herum. Der Brunnen ist nicht das einzige, das nicht zu Ende gebaut wurde. Eine Rampe zur Hauptpforte ist provisorisch aus Holz zusammengezimmert und der zweite Turm der Kirche wird erst jetzt, 6 Jahre nach der Weihe, gebaut.


Das Einzige, was hier zügig gebaut wird, sind die Hochhäuser, die überall in die Höhe schiessen und irgendetwas zwischen Geldwäsche, korruptem Baugewerbe, Immobilienspekulation und ernst gemeinter Wohnraumvermehrung darstellen. Alles andere braucht im Kosovo ein bisschen mehr Zeit, so auch die Kirche, die mir in den Tagen in Prishtina zum Fixpunkt geworden ist, um den herum sich meine Entdeckungsgänge aufspannten.


Ich nahm an der Messe Teil und bewunderte die Fenster, die eine Seite der katholischen Geschichte erzählen, die mir noch gänzlich fremd war. Ich betete in dem hellen hohen Raum, in dem eine Taube umherflatterte, die eine Hochzeitsgesellschaft am Vortag hatte fliegen lassen und die seither nicht mehr herausfand. (Als ich mit einem Angestellten der Kirche scherzte, dass sich der Heilige Geist in ihre Kirche verirrt habe, flog die Taube gerade gegen eine Scheibe, worauf er lakonisch entgegnete «Holy Spirit smashed into window.»)


Ich traf einige Priester, die sich um die kleine katholische Minderheit im Land kümmern. Denn gegenwärtig gehören nur noch 3% der Bevölkerung der katholischen Kirche an und diese sind weit verstreut. Umso wichtiger ist ihnen dieser gemeinsame Ort. Die Kirche selbst erzählt die Geschichte der Bedrängnis, aber auch der Resilienz und Kraft der Christinnen und Christen in diesem Gebiet. Die bunten Kirchenfenster gedenken den Märtyrerinnen und Märtyrern aus der frühchristlichen, osmanischen, kommunistischen und serbischen Zeit. Die katholische Kirche hatte hier durch die Jahrhunderte hinweg verschiedene Feinde und es grenzt an ein Wunder, dass sie immer noch da ist.

Eine Stadt und ihre Geschichte

Es verging kaum ein Tag, an dem ich nicht zur Kirche spazierte. Vom Turm aus blickte ich dann über diese lebendige Stadt, die vor so kurzer Zeit noch von Unterdrückung und Krieg heimgesucht war. Auch im Bauboom und der sommerlichen Ausgelassenheit ist eine gewisse Melancholie zu spüren.


Die Geschichte, die diese Stadt zu erzählen hat, ist eine Leidensgeschichte. Die Erinnerung an den Krieg in den Neunzigerjahren ist noch frisch. Eine grundsätzliche politische Dringlichkeit ist in der Begegnung mit den Einheimischen oftmals spürbar. Das noch junge Land kämpft nach Jahrhunderten der Besetzung durch verschiedene Fremdmächte um seine Selbstbestimmung; es ringt im komplexen Gefüge verschiedenster kultureller Prägungen um seine Identität und es gedenkt in diesem Prozess ihren Heldinnen und Helden. Denn auch von ihnen erzählt Prishtina.

Es ist nicht nur eine Leidensgeschichte, sondern ebenso eine des Mutes und der Schönheit. Die katholische Kirche im Kosovo, wie arm und klein sie auch sein mag, gehört zu dieser Geschichte und sie wirkt mit an der gemeinsamen Zukunft. Sie feiert die Messe, verkündet das Wort, kümmert sich um die Armen und wirkt an vielfältigen interreligiösen Projekten mit – die Fertigstellung des Brunnens darf dabei ruhig noch ein paar Jahre auf sich warten lassen.