Eine Suche und alles, was sie auslöst
Buchtipp aus der ökumenischen Buchhandlung voirol
Für Sie gelesen. Tipp aus der ökumenischen Buchhandlung voirol
Der Vater stirbt, als sie acht Monate alt ist. Er selbst ist zum Zeitpunkt seines Todes erst dreiunddreissig Jahre alt. Zora del Buono hat keine Erinnerungen an ihn.
Der Vater starb bei einem Autounfall, verursacht durch ein waghalsiges Überholmanöver eines entgegenkommenden Wagens. Zeitlebens will die Mutter nicht mit ihrer Tochter über den Unfall, den Verlust, den Vater oder den Schuldigen sprechen. «Abhögle» ist die immer gleiche Antwort, die sie erhält. Nun ist die Mutter im Altersheim, verliert immer mehr den Bezug zur Realität und erkennt ihre Tochter bei deren regelmässigen Besuchen nicht mehr wieder. Beim Ausräumen der mütterlichen Wohnung stösst Zora del Buono auf Spuren rund um die Geschehnisse, die vor knapp 60 Jahren ihren Vater das Leben kosteten. Der Zeitpunkt ist gekommen, sich vertieft mit diesem Unglück in ihrer frühesten Kindheit auseinanderzusetzen. Sie macht sich auf die Suche nach dem «Täter», nach demjenigen, der Schuld am tödlichen Unfall ihres Vaters hat. Rein rechnerisch könnte er noch leben. Mit ganz wenigen Informationen beginnt sie die Suche. Das hier vorgestellte Buch «Seinetwegen» dokumentiert diese Suche und alles, was sie auslöst.
Zora del Buonos neuer Roman ist keine klassische Erzählung, kein Fliesstext, in dem sie die Suche in chronologischer Abfolge schildert. Es sind kurze Absätze, die schildern, was sie auf der Suche erlebt und wie sie die Suche erlebt: Unerwartete Begegnungen, immer wieder Gespräche mit Freund:innen über Themen wie Schuld, Identität, Schweigen, der Täter, der vom Monster zum Menschen wird, zeitgeschichtliche Anekdoten und nicht zuletzt die eigenen Gedanken und Erfahrungen, die sich anders spiegeln im neu Erlebten.
Del Buono schreibt aufrichtig und ungeschönt. Das Buch macht auf bemerkenswerte Weise bewusst, dass das Leben zu grossen Teilen weder plan- noch kontrollierbar ist.
Wie gehen wir mit Verlust um, mit Schuld, mit Leerstellen im Leben? Ein faszinierendes Buch mit unbedingter Leseempfehlung.
Séverine Décaille
Zora del Buono, Seinetwegen, C.H. Beck 2024, 201 Seiten