Pfarrei mit Zentrumsfunktion: Gläubige in der 125 Jahre alten Basilika Dreifaltigkeit in Bern. / Foto: Martin Bichsel
Einst nur geduldet, heute wichtig
Jubliäumsfeiern für die Berner Katholik:innen
Die Berner Katholik:innen feiern dieses Jahr gleich zwei wichtige Jubiläen: Vor 225 Jahren blühte mit dem ersten katholischen Gottesdienst nach der Reformation das Gemeindeleben wieder auf. Und vor 125 Jahren wurde die Mutterkirche des Pastoralraums Bern, die Dreifaltigkeitskirche, eingeweiht.
Erik Brühlmann und Marius Leutenegger
Es ist ein ganz normaler Morgen im Offenen Haus «La Prairie», gleich hinter der Berner Dreifaltigkeitskirche. In der Küche wird gerüstet, was das Zeug hält, Kaffee und Tee stehen schon bereit. Ab 10.00 kommen die ersten Gäste – einige, um ein Nickerchen zu machen, andere, um Gesellschaftsspiele zu spielen. Wieder andere freuen sich aufs Zmittag, das nur fünf Franken kostet.
Letztlich suchen sie alle – von den Randständigen bis zu den Senior:innen, von den Christ:innen bis zu den Ausgetretenen oder Menschen anderer Religionzugehörigkeiten – im Offenen Haus «La Prairie» vor allem eins: Gesellschaft.
Viele sind Stammgäste. Solang man sich an die Hausregeln hält, sind alle willkommen. «Wir hören von unseren Gästen oft den Satz: ‹Hier können wir so sein, wie wir sind›», sagt Esther Streiff-Béraud, seit 14 Jahren Teil des La-Prairie-Teams. «Genau das ist auch unser Grundangebot», ergänzt François Emmenegger, seit 2015 dabei, «wir bieten ganz einfach und niederschwellig während unserer Öffnungszeiten ein Dach über dem Kopf.» Höhepunkte wie Feste oder Ausflüge werden von den Gästen ebenfalls gerne angenommen.
Ein Haus für alle
«La Prairie» nahm 1982 den Betrieb auf und ist aus dem sozialen Angebot der katholischen Kirche in der Bundeshauptstadt nicht mehr wegzudenken. «Wir sind das Fundament der Kirche», sagt Esther Streiff-Béraud, nur halb im Scherz, «nicht nur wegen der Lage.»
Das altehrwürdige Gebäude gehört der römisch-katholischen Gesamtkirchgemeinde Bern und Umgebung, zugeordnet ist es nicht nur geografisch der «Dreif». Die rund 50 Freiwilligen sind in einem unabhängigen Verein organisiert und engagieren sich mit viel Herzblut. «La Prairie» ist für die Gesamtkirchgemeinde ein sozialdiakonisches Vorzeigeprojekt.
Den Gästen ist diese starke katholische Verwurzelung zum Teil bewusst. «Das heisst aber nicht, dass alle unsere Gäste gläubig oder gar mit der Kirche einverstanden sind», sagt Esther Streiff-Béraud. «Für uns ist das in Ordnung. Irgendwo müssen sie ja schimpfen dürfen, solange es anständig bleibt. Wo sollen sie denn sonst Dampf ablassen, wenn sie unten durch müssen – etwa im Bus oder im Tram?»
Dass «La Prairie» und ihre Angebote nicht nur von den Gästen geschätzt werden, zeigt sich an den Spenden für den Verein. «Wir erhalten manchmal grosse Summen, sogar Legate, von Menschen, die uns völlig unbekannt sind», sagt François Emmenegger, «das beeindruckt mich immer sehr.»
271 Jahre im Untergrund
Ein friedliches und produktives Neben- und Miteinander von Religionen und Konfessionen wie in «La Prairie» war im nachreformatorischen Bern undenkbar. «Faktisch durfte es nämlich in Bern keine Katholiken geben», sagt der Historiker und Theologe Urban Fink. Messfeiern waren seit 1528 verboten, wer sich zum Katholizismus bekannte, musste mit Repressalien rechnen oder auswandern. «Bestenfalls waren Katholiken geduldet.»
Nach dem Bildersturm 1528 waren Altäre, Heiligenbilder und Reliquien aus dem Münster entfernt und teilweise entsorgt worden, «die Kirche ging de facto in den Besitz des Stadtstaats Bern über», so Fink. Ab dem späten 18. Jahrhundert bescherte die industrielle Revolution vor allem den reformierten Städten und Kantonen einen wirtschaftlichen Aufschwung, der immer mehr Katholiken anzog.
«Nach dem Untergang der Alten Eidgenossenschaft brachte die Helvetik ab 1798 erstmals den Ansatz von Religionsfreiheit und verschaffte der kleinen katholischen Diaspora das Recht, ihren Glauben auch wieder auszuüben», sagt der Historiker. So wurde am 9. Juni 1799 auf Begehren der katholischen Ratsmitglieder der Helvetischen Republik und katholischer Diplomaten aus dem Ausland nach 271 Jahren erstmals wieder im Berner Münster eine Messe gefeiert.
Pater Gregor Girard wirkte als einer der ersten Diaspora-Pfarrer der Schweiz. «Für ihn und die wenigen Berner Katholiken war diese Messe ein grosser, sehr eindrücklicher Moment», sagt Urban Fink.
Ein Auf und Ab
Die Helvetische Republik war 1803 bereits wieder Geschichte. «Doch die Katholiken wollten auch weiterhin ihren Glauben leben und Pfarreien aufbauen», sagt der Historiker, «und sie waren bereit, dafür grosse Opfer zu bringen.» Auf Stadtgebiet blieben katholische Gottesdienste weiterhin erlaubt, wenn auch unter strengen Auflagen. So war zum Beispiel Glockengeläut nicht nur unerwünscht, sondern gar strafbar.
Mit der industriellen Revolution aber wanderten viele Katholiken in den Kanton Bern ein. Die Kantonsverfassung verankerte 1831 schliesslich die Glaubensfreiheit, 33 Jahre später wurde mit der Kirche St. Peter und Paul die erste nachreformatorische katholische Kirche in Bern eingeweiht. Der Kulturkampf, der nach der Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit im Ersten Vatikanischen Konzil 1870 ausbrach, fügte den Berner Katholiken jedoch erneut grossen Schaden zu.
Die romtreuen Katholiken verloren 1874 ihre staatliche Anerkennung, ihre Kirchen wurden den Christkatholiken übergeben. «De facto wurden romtreue Katholiken also wieder in den Untergrund gedrängt», sagt Urban Fink. «Trotzdem muss man den Kulturkampf als gescheitert bezeichnen, auch weil der romtreu gebliebene Klerus und die katholische Bevölkerung zusammenhielten.»
1893 wurden die evangelisch-reformierte, die römisch-katholische und die christkatholische Kirche in der neuen Kantonsverfassung als Landeskirchen anerkannt. Diese Anerkennung galt bei den Römisch-Katholiken aber nur für den ehemals fürstbischöflichen Jura. Erst 1939 wurden flächendeckend im ganzen Kanton Bern römisch-katholische Kirchgemeinden eingerichtet und staatlich anerkannt.
Am 18. Juni 1899 – nach dem Verlust der Kirche St. Peter und Paul im Jahr 1875 – folgte schliesslich der Wendepunkt im katholischen Leben Berns: Die Dreifaltigkeitskirche wurde von Bischof Leonhard Haas feierlich eingeweiht. «Für den Bau wurde viel Geld gesammelt, auch ausserhalb Berns. Es ist anzunehmen, dass auch jene Menschen ihr Scherflein beitrugen, die in beengten finanziellen Verhältnissen lebten», hebt Urban Fink die heute kaum mehr zu ermessende Opferbereitschaft der Berner Katholiken erneut hervor.
Er bezeichnet die Kirche, die 1956 von Papst Pius XII. zur Basilika minor ernannt wurde, als ein veritables Statement. «Man wollte deutlich zeigen: Hier sind wir, hier bleiben wir, trotz aller Widrigkeiten.» Die Kirche wurde zum Mittelpunkt des Gemeindelebens, von wo aus sich der heutige Pastoralraum Bern entwickelte. «Die römisch-katholische Kirche hatte, im Gegensatz zur christkatholischen Kirche, eine grosse Breitenwirkung», so der Kirchenhistoriker, «nicht zuletzt auch dank der Frauen und der damals zahlreichen Ordensschwestern.»
Ein Fest für alle
Die Dreifaltigkeitskirche hat ihre Zentrumsfunktion bis heute behalten. Für Jérôme Brugger, Präsident des Kirchgemeinderats der Pfarrei Dreifaltigkeit, ist das 125-Jahr-Jubiläum der Basilika eine Einladung, auf deren Geschichte und jene der Pfarrei zurückzublicken und sich damit zu beschäftigen. «Wir leben heute mit der reformierten Kirche im freundschaftlichen Austausch und finden immer wieder Gelegenheiten für gute Zusammenarbeit», sagt er. Die Herausforderung sei nicht mehr, sich gegen andere Konfessionen zu behaupten, sondern als Kirche in einem zunehmend säkularen Umfeld unterwegs zu sein.
Dies gelingt unter anderem über die vielen sozialdiakonischen Angebote der katholischen Kirche, welche die Besucher:innen am 22. Juni mit einem Shuttlebus entdecken können. «Es ist wichtig, zu zeigen, dass man sich für Menschen jeglicher Glaubensrichtungen sozialdiakonisch engagieren kann, auch wenn man keinen sehr direkten Bezug zur Kirche hat», sagt er.
Jérôme Brugger hofft, dass die beiden wichtigen Jubiläen auf ganz Katholisch-Bern wirken – zum Beispiel, wenn Bischof Felix Gmür am 23. Juni zum Festgottesdienst lädt. «Ich wünsche mir, dass dies eine Feier für ganz Katholisch-Bern wird», sagt er, «es wäre schön, wenn die benachbarten Pfarreien, die historisch aus der Pfarrei Dreifaltigkeit entstanden sind, für dieses Fest in die Mutterkirche kämen, damit die Grösse und Vielfalt von Katholisch-Bern an diesem Tag spürbar und erlebbar wird.»
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