«Zur Freundschaft gehört für mich auch die Lebenskunst, einander lassen zu können», sagt Pierre Stutz. Foto: Roger Wehrli
Endlich sein dürfen
Der Theologe Pierre Stutz zum Thema Freundschaft
In der Passionsgeschichte geht es um tiefe Freundschaft, die dennoch mehrfach enttäuscht wird. Was verstehen Zeitgenoss:innen unter Freundschaft? Ein Beitrag zu unserer Osterserie «Freundschaft».
von Pierre Stutz*
Als Junge hatte ich leider keine Freunde ausser den Bäumen, bei denen ich einfach sein durfte, manchmal lebensfroh, manchmal verzweifelt. Den Urwunsch, endlich einfach sein zu dürfen, verbinde ich mit Freundschaft; endlich im doppelten Sinn, voller Möglichkeiten und begrenzt. In einer Freundschaft können sich zwei Menschen in einer Vertrautheit begegnen, um das eigene Wachstumspotenzial zu fördern, ohne dabei die eigenen Macken und Kanten verstecken zu müssen.
Als Jugendseelsorger hatte ich sehr viele ziemlich beste Freund:innen. Als ich in einem längeren Burn-out auf mich selbst zurückgeworfen wurde, getraute ich mich nicht, mich ihnen auch als sehr zerbrechlichen Menschen zuzumuten. Es war ein langer und schmerzlicher Prozess, mir einzugestehen, dass es ein Glück ist, wenn mir mit wenigen Personen eine tiefe Freundschaft geschenkt wird. Heute kann ich befreit sagen: Silvia, die ich seit 48 Jahre kenne, ist meine beste Freundin, und mit meinem besten Freund Christoph erfahre ich gegenseitige Stärkung. Zur Freundschaft gehört für mich auch die Lebenskunst, einander lassen zu können, wenn durch herausfordernde Lebenssituationen der Spielraum für Begegnungen kleiner wird. Seit meiner Jugendzeit bin ich auch dankbar mit meinem Lebensfreund aus Nazaret unterwegs, weil er mich immer wieder neu inspiriert und herausfordert.
* Pierre Stutz, Theologe und spiritueller Autor, lebt mit seinem Ehemann in Osnabrück.
Zum Weiterlesen:
Was ist Freundschaft? Vier Menschen erzählen..