KVI-Kampagnenleiterin Rahel Ruch. Foto: zVg
«Es gibt keine Beweislastumkehr»
Rahel Ruch, Kampagnenleiterin der KVI, nimmt Stellung zu Kritik.
Ist die Konzernverantwortungsinitiative (KVI) unnötig, ineffizient, eine Bedrohung für Schweizer KMUs? Rahel Ruch, Kampagnenleiterin der KVI, nimmt Stellung zur Kritik an der Vorlage.
Interview: Sylvia Stam
«pfarrblatt»: Können im Ausland tätige Schweizer Firmen nicht bereits heute eingeklagt werden, wenn sie gegen Umweltstandards und Menschenrechte verstossen?
Rahel Ruch: Nein. Heute ist nicht festgelegt, welche Pflichten Konzerne mit Sitz in der Schweiz in Bezug auf Menschenrechte und Umweltstandards erfüllen müssen. Die KVI macht dazu klare Vorgaben und will sicherstellen, dass Konzerne dafür geradestehen, wenn ihre Tochterfirmen im Ausland Flüsse vergiften oder ganze Landstriche zerstören.
Der indirekte Gegenvorschlag verlangt eine Sorgfaltsprüfung. Weshalb genügt das den Initiant*innen nicht?
Der indirekte Gegenvorschlag verlangt, dass Konzerne einmal im Jahr über «Umweltbelange» und die «Achtung der Menschenrechte» berichten. Dabei bleibt unklar, nach welchen Kriterien dies geschehen soll und sie brauchen nichts nachzuweisen. Solange Konzerne nicht geradestehen müssen, wenn sie Menschenrechte oder Umweltstandards verletzen, wird sich nichts verändern. Nehmen wir das Beispiel Glencore: Dieser Konzern publiziert bereits einen Human Rights-Bericht. Von den Menschenrechtsverletzungen durch den Konzern steht dort kein Wort und durch die Publikation ändert sich an den Missständen vor Ort nichts.
Aber im Bereich der Mineralien und der Kinderarbeit sieht der indirekte Gegenvorschlag eine Sorgfaltspflicht vor.
Ja, aber der Bundesrat hat viel Spielraum zu definieren, für wen diese Sorgfaltspflicht gilt und für wen nicht. Das Hauptproblem ist allerdings, dass Konzerne zwar zu etwas verpflichtet werden, das Nicht-Einhalten dieser Verpflichtung jedoch keinerlei Konsequenzen hat.
Was stellt die KVI dem gegenüber?
Einen gesetzlichen Rahmen für alle Konzerne, für alle Menschenrechte und Umweltstandards, die international anerkannt sind sowie klare Konsequenzen, wenn ein Konzern sich nicht daran hält.
Von den Kritiker*innen wird angeführt, die Initiative verlange eine Umkehr der Beweislast. Das führe zu einer grossen, ineffizienten Klageflut.
Es gibt keine Beweislastumkehr. Laut der KVI können Geschädigte in der Schweiz auf Schadenersatz klagen. Dazu muss ein/e Kläger*in beweisen können, dass es einen Schaden gegeben hat, dass dieser in der Verletzung eines Menschenrechts oder eines Umweltstandards passiert ist, dass der Schaden im Zusammenhang mit einer Tochterfirma entstanden ist und dass der Schweizer Mutterkonzern die Tochterfirma tatsächlich kontrolliert. Wenn das alles bewiesen ist, hat der Mutterkonzern immer noch die Möglichkeit, sich aus der Haftung zu befreien, indem er zeigt, dass er die Verantwortung gegenüber seiner Tochterfirma wahrgenommen hat.
Gemäss KVI sind KMUs nicht von der Initiative betroffen, ausser sie seien in einem Hochrisikosektor tätig. Kritiker monieren, die KVI betreffe auch KMU, sofern sie in Lieferketten eingebunden seien. Was gilt?
Die Initiative betrifft nur KMUs, die im Hochrisikosektor tätig sind, zum Beispiel Diamantenhändler*innen, die einerseits einer Hochrisikotätigkeit nachgehen und andererseits in Konfliktländern tätig sind. Für alle anderen KMU gilt die Initiative nicht.
Aber wenn ein KMU Teil einer Lieferkette von Syngenta oder Glencore ist?
Dann greift die Initiative nicht, weil Konzerne nicht für Zulieferer haften, sondern für Tochterunternehmen.
Kritiker*innen werfen ein, in anderen Ländern gebe es keine solchen Regelungen. Die Schweiz gerate bei einer Annahme der Initiative ins Abseits.
Auch andere Länder kennen solche Gesetze: In Kanada klagen Indigene aus Guatemala gegen den Rohstoffkonzern Hudbay, weil Sicherheitspersonal des Konzerns elf Frauen vergewaltigt und Indigene von ihrem Land vertrieben hat. Der Fall ist noch hängig, aber entschieden ist, dass man in Kanada als Geschädigter aus dem Ausland klagen kann. Das oberste britische Gericht hat eine Sammelklage von 1800 Personen aus Sambia gegen einen britischen Bergbaukonzern wegen Umweltzerstörung und Trinkwasservergiftung zugelassen. Sie wird jetzt in London verhandelt. In Frankreich gibt es bereits ein Gesetz, das der KVI ähnlich ist. In der EU wurde eine vergleichbare Regelung angekündigt.