Marianne Pletscher: «Putzen kann ein Einstieg in die Arbeitswelt sein und die Chance, die Sprache zu lernen.» Foto: Sonja Ruckstuhl
«Es ist anspruchsvoll, gut zu putzen»
Marianne Pletscher hat ein Buch zum Thema geschrieben
Gibt man putzenden Migrant:innen die Chance, sich eine Existenz aufzubauen? Oder soll man ein schlechtes Gewissen haben? Marianne Pletscher, die ein Buch zum Thema verfasst hat, gibt Antworten.
Interview: Marcel Friedli
«pfarrblatt»: Von anderen den eigenen Dreck wegputzen lassen – und noch von Ausländer:innen. Hat man da ein doppelt schlechtes Gewissen?
Marianne Pletscher: Ich hatte das, vor allem am Anfang. Es ist umstritten, ob man andere für sich putzen lassen darf und soll. Ich bin schliesslich zur Erkenntnis gelangt, dass ich jemandem Arbeit gebe – der oder die das erst noch besser kann.
Was kann Rosa, ihre Putzfee, die seit 20 Jahren für Sie arbeitet, besser als Sie?
Reinigt sie die Fenster, dann sind keine Striemen mehr da. Ich schaffe das nicht. Überhaupt ist es anspruchsvoll, gut zu putzen. Es ist fast eine Wissenschaft, wann man welches Mittel anwendet. In Restaurants und Schulen ist es noch komplexer.
Wer putzt die Schweiz? Migrant:innen! Ist die Antwort auf diese Frage ein Klischee?
Das ist kein Klischee. Es gibt nicht so viele Schweizerinnen, die beruflich selber putzen – und noch weniger Schweizer. Und auch bei ausländischen Personen sind es deutlich weniger Männer. Falls sie doch putzen, dann meist an den gehobeneren Orten: zum Beispiel in Kirchen und Schulhäusern oder auf den Strassen, wo es sichtbar ist.
Kann Putzen für Migrant:innen der Einstieg zum Aufstieg sein – oder ist es eine Sackgasse?
Beides. Es kann ein Einstieg in die Arbeitswelt sein und die Chance, die Sprache zu lernen – um dann einen Job in einem anderen Bereich zu ergattern. So war das bei einer Migrantin, die als Putzfrau begonnen hat und heute in einem Heim arbeitet.
Ist das eine Ausnahme?
Eine Ausnahme nicht – aber es gibt viele, die es nicht schaffen und ein Leben lang dort hängen bleiben.
Also eine Sackgasse?
Nicht unbedingt. Immerhin haben sie Arbeit, finanzieren so ihr Leben und sind bis zu einem gewissen Grad integriert. Bei vielen Frauen, die in Privathaushalten putzen, ist dies der Fall. Das hat wiederum noch eine andere Seite.
Worauf spielen Sie an?
Zwar haben Migrant:innen dann Arbeit – aber oft werden sie nicht angemessen entschädigt. Viele Arbeitgeber:innen im privaten Bereich drücken sich um Sozialabgaben und Pensionskassen.
Wie viel soll man Putzenden bezahlen?
Als angemessen erachte ich – mindestens – 30 Franken plus Sozialleistungen (vgl. Box). Meiner Putzfrau Rosa, die seit zwanzig Jahren für Sauberkeit in meiner Wohnung sorgt, bezahle ich Krankengeld. Da sie nun pensioniert ist, fallen AHV und Pensionskasse weg. Zudem haben die meisten noch Anfahrtswege, die nicht bezahlt sind. Reich wird man mit Putzen nicht.
Sind Sie als faire Arbeitgeberin eine Ausnahme?
Ich hoffe nicht. Doch es gibt zu viele Leute, die es ausnützen, dass Migrant:innen über die üblichen (Mindest-) Löhne sowie über ihr Recht auf Sozialabgaben nicht Bescheid wissen. Falls man nicht einen fairen Lohn zahlen kann und will: Dann soll man meiner Ansicht nach selber putzen.
Sie plädieren dafür, Sans-Papiers zu engagieren und sie angemessen zu entschädigen. Das ist rechtlich eine mindestens dunkelgraue Zone.
Und man kommt in Erklärungsnot, wenn man im Schaufenster steht und das rauskommt. Sonst aber kommt es für eine Privatperson im schlimmsten Fall zu einer Verwarnung und dann zu einer Busse. Mit etwas Zivilcourage kann man dieses Risiko eingehen und jemandem Arbeit geben – und die Chance, sich in unserem Land eine Existenz aufzubauen.
Mit Stolz und Sprühwischer
Seit knapp zwanzig Jahren gibt es in der Deutschschweiz für die Reinigungsbranche einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV), in dem rund 70000 Personen organisiert sind. An den GAV haben sich alle Betriebe ab fünf Mitarbeitenden zu halten. GAV-Angestellte haben Anrecht auf Mutter- und Vaterschaftsurlaub, Entschädigung bei Erwerbsausfall bei Krankheit und Unfall sowie auf Pensionskassengelder; dies nebst AHV, Arbeitslosenversicherung und Ferienentschädigung. Der Mindestlohn von knapp 20 Franken brutto ist allerdings immer noch tief. Viele schuften für noch weniger, zum Beispiel Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus. Wer in der Schweiz putzt, hat meist eine Migrationsgeschichte: Die Autorin Marianne Pletscher und der Fotograf Marc Bachmann geben zehn Menschen ein Gesicht und gewähren Einsicht in deren aktuelles und früheres Leben:
Wer putzt die Schweiz? Migrationsgeschichten mit Stolz und Sprühwischer. Limmatverlag. 254 Seiten. 131 Fotos.
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