Das Kerzenlicht beruhigend wirkt, ist sogar wissenschaftlich erwiesen. Foto: Josh Boot, unsplash.com

Es werde Licht

16.12.2023

Was die Kerze dem Lichtschalter voraus hat

von Reto Stampfli*

Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob ich einfach den Lichtschalter drücke oder eine Kerze anzünde. Ohne esoterisch klingen zu wollen, doch dem Kerzenlicht wohnt eine ganz spezielle Zauberkraft inne. Ich kann eine Kerze aus Freude oder Zufriedenheit entflammen, doch auch bei Trauer greift man oft auf das Licht der Kerze zurück.

Das Kerzenlicht hat wortwörtlich eine einzigartige Ausstrahlungskraft, eine erneuernde, aber auch bergende Kraft, die in der Bibel bereits in der Schöpfungsgeschichte mit dem ersten Licht – dem ersten Tag – beginnt.

Historisch betrachtet kann die Kerze auf eine lange Geschichte zurückblicken, denn seit Jahrtausenden kennen Menschen kerzenähnliche Lichter aus Fett und Harz. So erstaunt es nicht, dass die älteste erhaltene Wachskerze knapp 2000 Jahre alt ist.

Kerzen stellten in früheren Zeiten sogar ein Statussymbol dar: Im Mittelalter waren Kerzen aus Bienenwachs dem Klerus und dem Adel vorbehalten. Alle anderen benutzten zweitklassige Kerzen aus Rinderfett oder Hammeltalg. Diese verursachten einen ranzigen Geruch und qualmten und russten entsprechend unangenehm. 

Es war dann das Christentum, das die Entwicklung und Verbreitung vorantrieb. Ab dem 19. Jahrhundert war das geruchlose Paraffin ein Segen für die Kerzenherstellung, da es sauber und gleichmässig brannte und günstiger herzustellen war. So konnte endlich in Erfüllung gehen, was der schreibende Nachtarbeiter Goethe sich so sehnlichst wünschte: «Ich wüsste nicht, was sie besseres erfinden könnten, als wenn die Lichter ohne putzen brennten.»

Erst mit der Erfindung der Glühbirne verlor die Kerzenherstellung an Bedeutung. Doch heute ist es nicht mehr der materielle Wert, den wir an Kerzen schätzen, sondern ihren Wert als Dekorationsartikel, Stimmungsbereiter und Geschenk. Es liegen sogar wissenschaftliche Untersuchungen vor, die belegen können, dass das Kerzenlicht mit seinen vielen Rotanteilen beruhigend wirkt.


*Erstpublikation im Kirchenblatt des Kantons Solothurn