«Theologie war eine mögliche Alternative, die Welt gewaltfrei, solidarisch und gerecht zu gestalten.» Angelo Lottaz. Foto: Pia Neuenschwander

«Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen.»

11.01.2017

Angelo Lottaz lädt zu einem ökumenischen Studientag. Es geht um nichts weniger als die Frage nach der wirklichen Botschaft des Christentums.

Christliches Beten und Handeln schärft sich am Begriff Reich Gottes. Diese Utopie lässt Beten und Handeln konkret werden. Angelo Lottaz, Theologe und Psychotherapeut, lädt mit ökumenischen Freundinnen und Freunden ein zu einem Studientag nach Bümpliz, der keine geringere Frage stellt, als die nach der wirklichen Botschaft des Christentums.

Dazu eingeladen hat das ökumenische Team Theologe, Privatdozent und Autor Urs Eigenmann. Er erinnert daran, dass es im Christentum immer zentral um das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit geht. Christentum ist weder kultisch, noch in der kirchlichen Hierarchie zu haben. Jesus ging es nie um sich selbst, sondern «um das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit als himmlischer Kern des Irdischen» so Eigenmann. Nach der konstantinischen Wende, als das Christentum Staatsreligion wurde, gerieten das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit in Vergessenheit, gingen unter im «imperial-kolonisierenden Christentum». Angelo Lottaz, der nach 17 Jahren seinen Seelsorgeeinsatz in der Pfarrei St. Antonius, Bümpliz, Ende Februar beendet, will mit dieser Tagung das Nachdenken über den Ort des christlichen Betens und Handelns fördern.

Die Welt verändern

Diese konkrete Verortung des Reichs Gottes in der Welt war Angelo Lottaz immer wichtig. Theologie studierte er in den 1970er Jahren wegen des Jugendseelsorgers Kurt Mahnig: «Bei ihm war eine glaubwürdige Alternative zur Weltgestaltung aufgeschienen. Ich wollte damals die Welt verändern. Der Vietnamkrieg war zu Ende, Aufrüstung, Waffenhandel waren Themen. Es war ähnlich wie heute – in der Welt draussen ein Scheiss. Theologie war eine mögliche Alternative, die Welt gewaltfrei, solidarisch und gerecht zu gestalten.» Als zweites Standbein wählte der junge Theologe die psychotherapeutische Ausbildung. «Die humanistische, personzentrierte Psychotherapie war für mich die individuelle Variante von Theologie», erklärt Lottaz: «Theologie hat für mich wenig mit persönlichem Glauben zu tun gehabt. Theologie war für mich ein Weltprojekt hin auf das Reich Gottes. Psychotherapie war der Versuch von solidarischem, gewaltfreiem, heilendem Zusammensein im kleinen Rahmen. Auch wenn es natürlich da immer auch um grössere Zusammenhänge geht, um das Familiensystem und das Gesellschaftssystem, in dem jemand krank wird. Aber der Fokus ist anders als in der Theologie. In der Auseinandersetzung geht es in der Therapie um Individuen, um Würde und Respekt des Einzelnen. Das hat sich dann gut ergänzt.»

«Prairie», ein offenes Haus

Weil der junge Theologiestudent damals den Eindruck gewann, dass die Kirche als Institution das Reich Gottes mit sakralem und hierarchischem Denken verraten hat, wollte er eigentlich nicht in der Kirche arbeiten. Da war aber die Sache mit der «Prairie»: «Mit einer kleinen Gruppe setzte ich mich damals für das Landhaus ‹Prairie› auf dem Areal der Dreifaltigkeitspfarrei ein. Es sollte darin ein offenes Haus entstehen, das auch für Randständige offen sein sollte, aber nicht nur. Wir lebten damals zu viert im Haus. Der damalige Pfarrer Franz Kuhn bot mir eine Stelle an, als Mädchen für alles in der Pfarrei. Meine Bedingung war damals klar und eigentlich unglaublich: Ich wollte nichts mit den liturgischen und sakralen Feiern zu tun haben.»

Angelo Lottaz war ausserdem tätig als Assistent am Institut für Pastoraltheologie an der Uni Fribourg und veröffentlichte sein erstesBuch «Wach auf du kalte Kirche», das sich wieder um den Ort in der Welt des christlichen Handelns und Betens kümmerte. Die Bewegung um die «Prairie» verhinderte damals den ersten Neubau des Pfarreizentrums Dreifaltigkeit. Die «Prairie» wurde nicht abgerissen und ist heute weiterhin ein wichtiger, preisdekorierter und vitaler Ort sozialen Handelns und einer Theologie der Gastfreundschaft geblieben.

Therapiezentrumfür Folteropfer

Für Lottaz folgten als Theologe Einsätze für die katholische Jugendseelsorge Bern. Dann wechselte er als Psychotherapeut zum Roten Kreuz und half das Therapiezentrum für Folteropfer aufzubauen: «Dieses Engagement endete in einem ziemlich hässlichen Konflikt mit der Leitung des Zentrums. Wir hatten nicht dieselben Vorstellungen über die Schwerpunkte der Arbeit. Ich war darauf einige Zeit ohne Job. In der Pfarrei St. Antonius Bümpliz konnte ich zu 10% Pfarramtssekretariatsarbeiten, neben meiner psychotherapeutischen Tätigkeit, übernehmen. Als es dann einen Wechsel im Seelsorgeteam gab, wurde ich von der Pfarrei zu 50% angestellt. Und bin 17 Jahre hängen geblieben.»

Die falschen Fragen

Ist es gelungen, in diesen Jahren christliche Gemeinschaft in der Welt zu leben? «Vielleicht in dem Sinne, dass es uns gemeinsam gelang, in einem kleinen überschaubaren Rahmen christliche Gemeinschaft zu leben. Ich übernahm ja hier dann doch auch liturgische Dienste und verwendete viel Sorgfalt dafür. Ich wollte eine stimmige Sprache finden, damit die Liturgie eben nicht ein abgehobener, mit der Welt und den persönlichen Erfahrungen unverbundener kultischer Raum blieb. Ich versuchte die Liturgie zu entsakralisieren, auf den Alltag und das Reich Gottes hin aufzubrechen.» Plötzlich winkt er ab und sagt: «Allerdings gibt es dazu ein grosses Aber: Ich empfinde die Bilanz mehr gescheitert als gelungen. Es gelang mir zum Beispiel nicht, mich den falschen Fragen zu entziehen. Die Frage zum Beispiel, ob Schwule oder Frauen oder Geschiedene einen Platz wie alle anderen in der Kirche haben, stellt sich doch gar nicht, ist im Licht des Reiches Gottes klar: Natürlich haben sie einen Platz.» Wenn er sich das Projekt Reich Gottes vorstelle und dann darin die Frage bedenke, wer Eucharistie feiern darf und wer nicht, sei das nur noch grotesk. Er könne es am Beispiel der humanistischen Psychotherapie erklären, so Lottaz: «Diese geht davon aus, dass in jedem Menschen alles schon vorhanden ist, wie ein göttlicher Funke, der zu einem solidarischen Leben verhelfe. Wenn es gelingt, zu sich selbst zu finden, dann findet man auch zu einem offenen solidarischen Leben, oder eben theologisch ausgedrückt: zur Reich-Gottes-Botschaft. Ich bin extrem berührt, wievel Anteilname im Stillen in Bümplizgeschieht».

Für die Kirchen stellen sich Überlebensfragen

Damit kommt Angelo Lottaz noch einmal auf die Idee der Studientagung mit Urs Eigenmann zurück: «Für die katholische wie für die reformierte Kirche stellen sich heute Überlebensfragen. Wie kann die historisch gewachsene Kirche in der postmodernen Gesellschaft weiterwirken. Die Fragen, die sich stellen, sind die über Finanzen, Rollen- und Ämterverständnis, über Hierarchie. Es sind aber die falschen Fragen, sie zielen am Geschehen in der Welt völlig vorbei. Die Tagung möchte diesen Fragehorizont verändern, fruchtbarer machen, auf das Zentrum christlicher Weltgestaltung hin.» Christliche Haltungen hätten eine Kraft, die Orte in der Welt schaffen, die heilsam sind, zeigt sich Lottaz überzeugt: «Aber wir brauchen dafür einen Blickwechsel, eine Umkehr. Urs Eigenmann wird uns anstossen.»

Jürg Meienberg

Vom Reich Gottes zur Religion – und zurück. Thesen zur Orientierung der Kirchen an ihrem eigenen Ursprung
Ein Studientag der Bümplizer Kirchen mit Dr. theol. Urs Eigenmann, emeritierter Pfarrer und Lehrbeauftragter. Veranstalterin: Ökumenisches Team Bern West.
Samstag, 21. Januar, 10.00 bis 16.00, Pfarreiheim St. Antonius, Morgenstr. 65
Die Kirchen sind an einem Wendepunkt: Viele treten aus, der Spardruck ist gross, die gewachsenen Strukturen scheinen nicht mehr zukunftsfähig, die Kirchen sind nicht mehr selbstverständlich in der Gesellschaft verankert. Krise? Chance? Oder beides? Wohin wollen wir als Kirche?
Mittagessen: Fr. 10.–
Anmeldung an: angelo.lottaz@kathbern.ch.