Die dynamische, manchmal auch unerwartete Kraft des Feuers wirkt aus sich selbst heraus. Foto: Pia Neuenschwander
Feuerliches Fest
Vom Lagerfeuer und vom Heiligen Geist - Gedanken zu Pfingsten
Ein merk-würdiges und belebendes Hochfest: Pfingsten.
Michael Hartlieb
Meine beiden Söhne sind begeisterte Pfader. Jeden Samstagnachmittag sind sie mit ihrem Fähnli im Wald; kommen sie zurück, füllt sich unsere Wohnung mit dem Wohlgeruch von Matsch und Räucherkammer. Räucherkammer? Ja, denn selbstverständlich ist bei jedem Anlass und jedem Wetter ein zünftiges Lagerfeuer obligatorisch.
Die symbiotische Einheit von Pfadi-Dasein und Lagerfeuer ist bei den Pfingstlagern, wie sie gerade jetzt landauf, landab stattfinden, besonders eng. Zu Hunderten, vielleicht Tausenden sitzen die Meitli und Buebe rund ums Feuer, geniessen die stille Sensation eines glühenden, «aufgebrutzelten» Gesichts (bei gleichzeitig eiskaltem Rücken), hören eine Gitarre oder ein anderes Instrument, vielleicht wird sogar noch gesungen … Das Feuer zuckt und lodert, knackt und speit bunte Gase nach oben – ein Schauspiel, dem man sich wirklich nur schwer entziehen kann!
Eigendynamik des Feuers
Wie das Spiel der Wellen am Meer lädt auch das Spiel der Flammen dazu ein, ihm stundenlang zuzusehen, in ihm wie hypnotisiert zu versinken. Woher aber kommt das? Diesen Reiz löst bestimmt aus, dass das Feuer vollkommen aus seiner eigenen Dynamik lebt. Zu dieser Dynamik gehört die Spannung aus sowohl unvorhersehbaren Ereignissen (Achtung: kleine Stichflamme links aus einem trockenen Ast – und jetzt: Eine Funkengarbe schiesst nach oben!) als auch gleichzeitig gewissen Regelmässigkeiten (pulsierend glimmende Glut, aufbäumendes Feuer, wenn neue Äste nachgelegt werden).
Dass diese Spannung elementar für das «Erlebnis Lagerfeuer» ist, zeigen Schnappschüsse von Feuern. Diese lassen meist jede Dramatik und innere Bewegung vermissen. Eine statische weiss-gelbe Lichterscheinung ist letztlich alles, was sich von einem züngelnden Feuer in ein Foto bannen lässt. Möchte man die faszinierende Bewegungs-Essenz eines Feuers einfangen und auch in einem Foto erlebbar machen, braucht es das erfahrene Auge und Wissen von Profis.
Merkwürdiges Nischendasein
Recht unvermittelt sind wir damit beim eigentlichen Thema angekommen: nämlich Pfingsten, diesem etwas merkwürdigen «Hoch»-Fest, an dem es weder Geschenke, Guetzli, Hasen, Bastelkram und, für Hardcore-Katholik:innen, nicht einmal eine Fastenzeit zur Vorbereitung gibt. Das Wort «Pfingsten» ist denn auch für die meisten Menschen eher ein Trigger für einen Ferien-Kurztrip in den Süden als für ein relevantes oder auch nur bekanntes christliches Fest. Kein Zweifel: Pfingsten fristet ein echtes Nischendasein. Verpassen wir da etwas – oder ist das in Ordnung so?
Wer seinerzeit im «Unti» aufgepasst hat, erinnert sich vielleicht noch an das «Pfingstwunder» mit «Feuerzungen» und an Jünger:innen, die plötzlich und auf wundersame Weise in vielerlei Sprachen reden können (zum Nachlesen: Apg 2,1– 13). Was das soll, und was heute an Pfingsten gefeiert und erinnert wird – das lesen wir in der Predigt, die Petrus nach dem Pfingstwunder dem herbeigeströmten Volk hält: Nun sei geschehen, was Jesus bereits zu seinen Lebzeiten angekündigt hat – als auferstandener Messias habe er den «Heiligen Geist ausgegossen».
Dieser Heilige Geist erfülle von nun an alles und jeden mit seiner prophetischen und rettenden Kraft. Zugleich stehe er sinnbildlich für die jetzt angebrochene Heilszeit, die mit dem Wiederkommen Jesu Christi am Ende der Tage vollkommen werde. Soweit Petrus.
Der Dritte im Bunde
Der Heilige Geist ist also die Hauptperson an Pfingsten, und dieses Wort ist durchaus doppeldeutig zu verstehen: Denn nach langen Diskussionen und theologischen Erörterungen ist den Christ:innen in den ersten Jahrhunderten der jungen Kirche klar geworden, dass der Heilige Geist selbst eine der drei göttlichen «Personen» ist. Einfacher ausgedrückt: Er ist eine der drei Arten, wie Gott für uns Menschen erfahren werden kann.
Was aber bedeutet das? Es ist schon schwer genug, sich Gottvater und Jesus Christus als «wahrer Mensch und wahrer Gott» vorzustellen. Wie sollen wir uns denn nun den Heiligen Geist denken? Die Erzählung von Pfingsten gibt uns dazu einen grossartigen Hinweis: Es ist das Feuer, mit dem wir uns das Wesen und Wirken des Heiligen Geistes vor Augen führen können. Wie das Feuer kann uns der Heilige Geist als hochdynamische Kraft erscheinen, die aus sich selbst heraus wirkt. Wir machen selbst doch immer wieder die Erfahrung, dass unerwartete Ereignisse wie Lichtstrahlen die Dämmerung unserer Existenz durchbrechen. Dass sich uns eine helfende Hand anbietet, die wir nicht erwartet haben. Dass sich Hoffnung zeigt, wo davor Hoffnungslosigkeit war.
Wie das Feuer plötzlich ausbricht und Funkengarben zum Leuchten bringt, so können auch wir in solchen Momenten das Wirken des Heiligen Geistes spüren und uns davon anzünden, schöpferisch werden lassen. «Veni creator spiritus» – Komm, Schöpfer Geist – dieser ganz alte Hymnus aus der christlichen Schatzkiste will deutlich machen, dass in uns allen eine göttliche Kraftquelle lebt, die als Heiliger Geist inspiriert und aktiviert.
Nun wäre es aber traurig, wenn diese doch recht chaotische Feuerdynamik nur ab und zu, bei einigen Menschen vielleicht auch nie, in Erscheinung träte. Hier hilft uns beim Verständnis nun die zweite Eigenschaft des Feuers weiter, nämlich die pulsierende Regelmässigkeit, die wir auch als Kontinuität verstehen dürfen. Der Heilige Geist erschöpft sich nicht in punktuellen Ereignissen. Er ist eine allumfassende Kraft, die alles gleichermassen mit sich trägt und in Lebensspannung hält. Wir spüren als Lebewesen dauerhaft die belebende Wärme und die Glut, von denen her erst die eruptiven Ausbrüche des Feuers möglich und besonders erlebbar werden.
Teil des Feuers sein
Lebendig-belebend, dynamisch-unerwartet und lichtvoll: Pfingsten will uns jedes Jahr daran erinnern, dass wir Menschen keine ziel- und nutzlose Materie sind. Jede:r darf sich als Teil eines göttlichen Feuers verstehen, das in uns – mal mehr, mal weniger hell – lodert. Dies bedeutet nun allerdings nicht, dass wir uns als willfährige Opfer dieses Feuers verstehen sollten. Wir selbst bestimmen, wie wir mit diesem Feuer umgehen – ob wir ihm durch unsere Taten und die Liebe, die wir anderen und uns selbst schenken, Nahrung geben; oder ob wir es durch Härte und Lieblosigkeit absterben lassen.
Pfingsten und seine Aufforderung, den Heiligen Geist in uns wirken zu lassen, liegt damit in unserer Hand. Pfingsten ist die Hochfest gewordene Aufforderung, den göttlichen Geist in dieser Welt zu verkörpern. Kann es ein grossartigeres Fest, einen grossartigeren Auftrag geben?