Für ihn ist die Liebe die radikalste Ausdrucksform des Glaubens: Jesuit Jean-Paul Hernandez. Foto: Raphaël Zbinden/cath.ch
«Fragen rund um den Glauben sind körperlich»
Hauptreferent ist der gebürtige Berner Jesuit Jean-Paul Hernandez
Heute Freitag beginnt der nationale Weltjugendtag (WJT). Bis am Sonntag wird der Jesuit Jean-Paul Hernandez mehrere Online-Impulse beisteuern. Kein Problem für den gebürtigen Berner, der im Gespräch die Evangelien als «Fernunterweisung» für die ersten Christ:innen bezeichnet.
Interview: Grégory Roth, cath.ch*
Jean-Paul Hernandez wurde als Sohn spanischer Eltern in Bern geboren. Er wuchs in Biel auf, studierte in Freiburg und trat in Italien in den Jesuitenorden ein. Zwar lebt und arbeitet der Jesuit jetzt in Neapel, aber er freut sich, ins Land seiner Jugend zurückzukehren, auch wenn er die jugendlichen – und weniger jugendlichen – Teilnehmenden am dritten Schweizer Weltjugendtag nicht persönlich wird treffen können.
Wie erleben Sie dieses neue Format «WJT online»?
P. Jean-Paul Hernandez: Gottes Wort zu kommentieren und zu teilen kann man nur in der menschlichen und lebendigen Beziehung zueinander. Es ist die Gemeinde, vor der ich während einer Messe stehe, oder die Bibelgruppen, die meine Worte inspirieren. Durch ihre Blicke und den Ausdruck in ihren Gesichtern empfange ich die richtige Intuition, die richtige Idee, die richtigen Worte. Ohne diese Quelle der Inspiration wird das Ganze künstlich. Die Fragen rund um den Glauben sind sehr persönlich und intim, ja physisch, körperlich. Diese Innerlichkeit ist nicht immateriell, paradoxerweise. Sie kann nur mit dem Körper ausgedrückt werden, wie es uns die Bibel lehrt. Ohne Körper kann sich der Glaube nicht frei ausdrücken. Der Glaube drückt sich durch die Berührung aus.
Vor einer Kamera zu sprechen, ist eine echte Herausforderung. Seit einem Jahr verkündige ich das Evangelium jeden Sonntag über den katholischen Fernsehsender TV2000 und habe dabei nur zwei Kameraleute als anwesende Zuhörer. Aus dieser Erfahrung habe ich gelernt, dass ich nur sprechen kann, während ich gleichzeitig bete. Durch das Gebet spüre ich die Anwesenheit der Menschen vor mir, in meinem Herzen. Wenn es um Glaubensfragen geht, ist das Gebet eine Grundvoraussetzung.
Was möchten Sie den Jugendlichen weitergeben, die an den Bildschirmen sitzen oder sich bloss in kleinen Gruppen versammelt haben?
Ich möchte ihnen sagen, dass die COVID-Pandemie, die wir jetzt erleben, uns in die Lage der ersten christlichen Gemeinschaften versetzt. Die allerersten Briefe, die sie als Unterweisung aus der Ferne erhielten, sind jene des Apostels Paulus. Der Glaube wird durch physische Präsenz weitergegeben, aber wenn der Unterweisende oder der Apostel nicht mehr anwesend ist, um das Evangelium zu verkünden, bedient man sich der Mittel, die man zur Verfügung hat. Paulus wählte das damals übliche Mittel, den Brief. Da Paulus nicht mehr in den Kirchen anwesend war, an die er seine Briefe schrieb, bat er darum, dass die Briefe in der Gemeinschaft vorgelesen würden. Das Christentum entstand also gewissermassen auf diese Weise: kleine lokale Gruppen, die sich physisch versammelten, aber ohne dass der Unterweisende anwesend war.
Das Gleiche gilt für die Evangelien. Denn auch sie sind nichts anderes als ein technisches und materielles Mittel, das eine Abwesenheit ersetzen soll: diejenige des Evangelisten. Der erste Text, das Markusevangelium, wurde in einer Gemeinde in Rom niedergeschrieben. Da Petrus, der im Jahr 64 oder 68 n.Chr. den Märtyrertod erlitt, nicht mehr anwesend war, sammelte man alle Notizen und Homilien von Petrus, und Markus schuf auf bewundernswerte Weise ein Mittel der Fernverkündigung: die Erzählung des Evangeliums. Es findet jetzt also eine Rückkehr zu den Ursprüngen statt, was sehr bewegend ist, aber was auch bedingt, dass die Gemeinschaft in kleinen Gruppen zusammenkommt. Das Evangelium ist für die Gemeinschaft bestimmt.
Auf welche Themen werden Sie mit den Jugendlichen in diesem Jahr eingehen?
Das Thema dieses WJT ist das «Zeugnis». Für jugendliche Gläubige ist es sehr wichtig, sich vertieft damit zu beschäftigen, was in der Bibel dazu steht. Denn sie sind in Bezug auf zwei Botschaften immer in einer Zwickmühle. Jesus spricht in den Evangelien die Sendung an, als den Glauben verkünden, Jünger gewinnen und taufen. Mit anderen Worten: Die eigene wunderbare Erfahrung der Liebe Gottes, die das Leben verändert, mit anderen teilen. Gleichzeitig muss man die Mitmenschen achten, zuhören, ihre Verschiedenheit und vielleicht auch ihrer Ablehnung gegenüber dem Glauben respektieren. Da alles in einem Umfeld, in dem die Christen in vieler Hinsicht eine Minderheit darstellen. Was bedeutet es aber, den Anderen zu achten und nicht zu bedrängen oder zu erobern, wie dies in der Geschichte der Menschheit geschah, wo der Glaube oftmals mit Gewalt aufgezwungen wurde?
Zwei Grundsätze, die sich widersprechen. Und deshalb ist Zeugnis ablegen ein Ausweg aus diesem scheinbaren Widerspruch zwischen Achtung vor dem Anderen und der Aufforderung zur Glaubensverkündigung und Gewinnung von Jüngern. Was bedeutet es, Zeuge zu sein? Es geht nicht darum, andern zu gefallen. Es geht aber auch nicht darum, immer politisch korrekt zu sein und nie über seinen Glauben zu sprechen. Es geht um etwas anderes, das damit zu tun hat, wie man sein Leben versteht. Es ist die Berufung eines jeden Gläubigen: weit mehr als evangelisieren und weit mehr als den anderen achten. Zu lieben ist die wohl radikalste Weise, sein Leben hinzugeben.
Wie werden Sie Ihre Zeit in der Schweiz verbringen?
Am Freitag, wenn ich in die Schweiz komme, werde ich zuerst zur katholischen Seelsorge in Basel reisen, zu einem Treffen zwischen «Kunst und Glauben» im Rahmen des Projekts Living Stones (Lebende Steine), das mir sehr am Herzen liegt. Danach komme ich nach Bern für den Weltjugendtag. Es bewegt mich sehr, in meine Geburtsstadt zurückzukommen. Ich bin dann in Biel aufgewachsen, bevor ich an der Universität Freiburg studierte. Aber ich werde nicht viel Zeit haben, um alte Freunde zu besuchen. Ich werde mir auch Zeit fürs Gebet nehmen, damit mein Zeugnis für die Jugendlichen vom Glauben durchdrungen ist. Ohne das Gebet fühle ich mich, als wäre ich falsch.
» Nationaler Weltjugendtag, live aus Bern, ab 23. April, 19.45 Uhr
*Übersetzung aus dem Französischen: Redaktion «pfarrblatt»