Beim Wortgottesdienst hätten Liturg:innen sprachlich grosse Freiheiten, sagt Birgit Jeggle-Merz. Foto: Emmanuel Ammon
Freiheiten nutzen und Mitfeiernden zumuten
Über die veraltete Sprache im Gottesdienst
Die Sprache in Gottesdiensten klingt für viele veraltet. Dabei wäre in Wortgottesdiensten vieles möglich, sagt Liturgiewissenschafterin Birgit Jeggle-Merz*. Sie ermutigt zu anderen Formulierungen.
Interview: Sylvia Stam
«pfarrblatt»: Zu Beginn der Messe sagt der Priester: «Der Herr sei mit euch.» Die Gemeinde antwortet: «Und mit deinem Geiste.» Woher kommen solche Formulierungen?
Birgit Jeggle-Merz: Fast alle Redewendungen, die in der Liturgie vorkommen, sind biblisch begründet. «Der Herr sei mit euch» ist eine Grussformel, die wir schon im Alten Testament vorfinden: Wir grüssen im Gegenüber auch die göttliche Dimension. Gemeinde und Zelebrant:in vergewissern sich gegenseitig, dass sie im Heiligen Geist zusammen sind. In der süddeutschen Grussformel «Grüss Gott» schwingt diese göttliche Dimension noch mit.
Wie verbindlich sind solche Redewendungen?
Für die Eucharistiefeier sind sie verbindlich. Bei anderen Gottesdienstformen, etwa dem Wortgottesdienst, ist die Verbindlichkeit viel geringer. Hier hätten Zelebrant:innen die Freiheit, andere Formulierungen zu wählen. Aber in der Praxis orientieren sich viele Liturgieverantwortliche nahezu ausschliesslich an Eucharistiefeiern und nutzen ihre Wahlmöglichkeiten nicht.
Ist das eine Ermutigung an Liturg:innen von Wortgottesdiensten?
Unbedingt! Ich höre immer wieder: «Ja, aber die Gottesdienstbesucher:innen erwarten, dass eine Feier aussieht wie eine Messe, weil sie nur das kennen.» Wir können heute nicht mehr davon ausgehen, dass jemand mit der Eucharistiefeier vertraut ist. Diese zum Massstab zu nehmen, ist sehr einseitig. Manchmal fehlt das Bewusstsein für die Freiheit, die man hat und die man den Mitfeiernden zumuten kann. Selbst wenn wir dieses Bewusstsein zu vermitteln versuchen, ist der Schritt, das in der Praxis zu verändern, riesig.
Dann könnte jede:r Seelsorger:in in einem Wortgottesdienst diese Formulierungen ändern?
Ich würde sagen: Jede Gemeinde. Die vorstehende Person geht ja «nur» im Gebet voran. Ihr gehören die Gebete nicht. Darum ist der begleitende Prozess mit den Gläubigen sehr spannend und wichtig. Das ist eine Form von Kirchenentwicklung. Man müsste dann zu einem späteren Zeitpunkt überprüfen, ob die neuen Formulierungen noch stimmig sind.
Ich muss nicht alles mit dem Verstand verstehen. Es geht um eine Ästhetik, sodass das, was gefeiert wird, zum Ausdruck kommt.
Liturgischer Gebetssprache liegen biblische Texte oder Bilder zugrunde. Was tun, wenn die Gottesdienstbesuchenden mit diesen nicht mehr vertraut sind?
Dazu braucht es liturgische Bildung. Diese liegt in der Verantwortung der hauptamtlichen Mitarbeiter:innen. Sie könnten das zum Beispiel in einer Predigt thematisieren.
Nur sehr wenige Gläubige gehen jeden Sonntag in die Kirche. Was, wenn jemand genau diese Predigt verpasst hat?
Ich bin überzeugt, dass sich vieles im Feiern erklärt. Als Zelebrantin muss ich mich fragen: Wie kann ich das, was gefeiert werden soll, zum Ausdruck bringen? Wer zelebriert, hat die Aufgabe, ein Gebet in einer Haltung der Feierlichkeit zu beginnen, also mit einer gewissen Präsenz und Dichte. Das überträgt sich auf die umstehenden Ministrant:innen, sodass auch die Mitfeiernden in diese Intensität kommen können. Dadurch erläutert sich vieles. Ich muss nicht alles mit dem Verstand verstehen. Es geht um eine Ästhetik, sodass das, was gefeiert wird, zum Ausdruck kommt.
Wenn diese Haltung gelingt, kann das Geschehen auch für Menschen, die keinen biblischen Hintergrund haben, verständlich werden?
Ja. Das Wort selber hängt davon ab, mit welcher Intention es gesprochen wird. Ich will damit nicht sagen, dass die pastoralen Mitarbeiter:innen nicht spirituell sind. Aber es gehört zur Kunst des Feierns, dass die Liturg:innen sich intensiv Gedanken dazu machen.
Die übliche Antwort auf die Fürbitten lautet: «Wir bitten dich, erhöre uns.» Könnte man das auch weniger unterwürfig formulieren?
Bei den Fürbitten gibt es keine verbindlichen Vorgaben, auch nicht für die Eucharistie. Man könnte auch einfach «Hör uns» oder «Hilf uns» antworten. Die Idee der Fürbitten wäre eigentlich, dass alle Getauften ihr priesterliches Amt wahrnehmen und mit den Sorgen und Nöten der Welt vor Gott treten.
Dass alle Gläubigen also selber Fürbitten formulieren?
Ja, doch wir sind das nicht gewohnt und entsprechend ungeübt. Aber alle haben in ihren Herzen Sehnsüchte und Wünsche. Die gemeinsame Antwort der Gläubigen drückt aus, dass wir diese gemeinsam vor Gott tragen. Mit welcher Formulierung man das tut, ob mit einem Liedruf oder mit Stille, ist nicht festgelegt.
In den Gebeten der Gottesdienste herrschen herrschaftlich geprägte Gottesbezeichnungen vor. Es gibt in der Bibel auch andere Gottesbilder. Warum fliessen diese nicht in die liturgische Sprache ein?
Die Gottesbilder im Alten und Neuen Testament sind tatsächlich vielfältig. Unsere Liturgie ist von einer 1500-jährigen Tradition geprägt. Im Mittelalter verstanden die Menschen sich als Sünder:innen mit einem grossen Abstand zu Gott. Weil die Liturgie in dieser Zeit verschriftlicht wurde, bilden solche Überlegungen den Samen für liturgische Gebete. Eine solch lange Tradition ist an sich wertvoll. Aber das enthebt uns nicht von der Verantwortung, in der heutigen Zeit Gebete zu sprechen.
Warum ist in der Eucharistiefeier die Sprache so verbindlich?
Bei der Eucharistie geht es um das Sakrament der Einheit. Um diese Einheit zu wahren, soll in allen katholischen Gemeinden grösstmögliche Gleichheit herrschen. Papst Benedikt XVI. legte viel Wert darauf, dass die Liturgie den lateinischen Charakter behält, damit die Tradition gewahrt ist. Papst Franziskus dagegen sagt, Tradition sei kein Museum, sondern etwas Lebendiges. Wir müssen Tradition auch lebendig interpretieren.
Was bedeutet das, die Tradition lebendig zu interpretieren?
Diese Frage wird bei der nächsten Übersetzung des Messbuchs ins Deutsche relevant. Da werden wir vieles aus der Tradition aufnehmen wollen und müssen und trotzdem auch eine Sprache suchen, die heutige Menschen verstehen.
*Birgit Jeggle-Merz ist Professorin für Liturgiewissenschaft an der Uni Luzern und an der Theologischen Hochschule Chur.
Bücher
Birgit Jeggle-Merz, Walter Kirchschläger, Jörg Müller: Mit der Bibel die Messe verstehen. Band 1: Die Feier des Wortes Gottes. Band 2: Die Feier der Eucharistie. Bestellungen beim Liturgischen Institut: www.liturgie.ch