Trotz allem optimistisch: Autor, Historiker und alt Nationalrat Josef Lang. Foto: Keystone

Für eine bessere Welt

28.12.2016

«Katholischer» Aus- und Rückblick mit alt Nationalrat und Historiker Josef Lang.

Alt Nationalrat Josef Lang wagt für das «pfarrblatt» einen «katholischen» Rückblick auf ein schlechtes vergangenes Jahr. Er belässt es aber nicht dabei und hofft auf ein besseres neues Jahr.

Von Josef Lang

Im Sinne des griechischen Begriffs «katholi­kos», auf Deutsch «allumfassend», gehe ich in meinem Rück- und Ausblick von der Welt aus, um am Schluss in Bern zu landen. Im ausge­henden Jahr jagte eine Hiobsbotschaft die an­dere. Die schlimmste war gewiss die Wahl des Rechtspopulisten Donald Trump zum mäch­tigsten Mann der Welt. Allerdings war von sei­ner Gegnerin Hillary Clinton, der Befürworte­rin des Irak-Krieges und einer rücksichtslosen Globalisierung, auch nicht viel Gutes zu erwar­ten. Das Glück Trumps war das Pech des öster­reichischen Gesinnungsgenossen Norbert Hofer. Dieser stand mit Alexander van der Bel­len einem Kandidaten gegenüber, der nicht dem unpopulären Establishment angehört.  

Papst gegen Trump

Die grösste Tragödie des Jahres 2016 ist die Zerstörung der syrischen Stadt Aleppo, deren Schicksal an das baskische Gernika im Spani­schen Bürgerkrieg erinnert. Die wichtigste po­litische Stütze des von Putin unterstützten As­sad war der «Islamische Staat» (IS), der dem Despoten als Vorwand diente, eine oppositi­onelle Zivilbevölkerung rücksichtslos zu bom­bardieren. Der IS wiederum ist die Folge der völlig unsinnigen Irak-Invasion von 2003. Mit ihr haben die damaligen Kriegsherren Bush und Blair eine Kaskade von Katastrophen ver­ursacht. Ohne den Irak-Krieg, der auch «Kreuzzug» genannt wurde, gäbe es heute keinen IS, wäre der Terrorismus weniger be­drohlich.

Das gefährlichste Problem für die Zukunft der Menschheit bleibt die Klimaerwärmung. Mit der Wahl eines Klimaleugners zum US-Präsi­denten drohen die wenigen Fortschritte, die vor gut einem Jahr in Paris beschlossen wur­den, zu versanden. Zur wichtigsten Gegenfi­gur zu Trump könnte der in ökologischen und sozialen Fragen aufgeschlossene Papst Fran­ziskus werden. Seine Umwelt-Enzyklika «Lau­dato si», die an der Weltklimakonferenz eine segensreiche Wirkung entfaltete, ist eine wichtige Hilfe im Kampf gegen die Öllobby, die in Washington wieder an Einfluss gewin­nen wird. Gerade die Klima- und die Ar­muts-Fragen zeigen, dass die Existenz einer Weltkirche, die Religionen allgemein, eine un­ersetzliche Hilfe sind im Engagement für einen lebenswerten Planeten.

Frauen in der Kirche

Allerdings haben alle Religionen aufgrund ih­res Alters eine erbliche Belastung: die Diskri­minierung der Frau. Mein im Februar dieses Jahres verstorbener Onkel, der in Basel, All­schwil und Rheinfelden als Vikar und Pfarrer gewirkt hatte, pflegte zu sagen: «Die Frauen lieben die Religionen, aber die Religionen lie­ben die Frauen nicht.» Während der Protes­tantismus in den letzten Jahrzehnten grosse Fortschritte gemacht hat, gab es innerhalb des Katholizismus unter den beiden Vorgän­gern von Franziskus einen Stillstand. Beim heutigen Papst gab es Fortschritte im Um­gang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Gleichzeitig aber sprach er ein schroffes Nein zur Priesterweihe für Frauen aus. Ende Oktober zeigte der Vatikan der schweizerischen Pilger­gruppe «Für eine Kirche mit den Frauen» die kalte Schulter. Dabei droht der katholischen Kirche in Europa wegen des Weiheverbots für Frauen und des Eheverbots für Priester das Personal auszugehen.  

Europäische Frustgefühle

In eine noch dramatischere Existenzkrise könnte die Europäische Union geraten. Der Versuch, eine Einheitswährung einzuführen, ohne die politischen und sozialen Grundlagen dafür zu schaffen, hat die EU an den Rand des Abgrundes geführt. Das Primat des Geldes, die Macht des Grosskapitals, das Dogma der Austerität und das Defizit an Demokratie ha­ben zur Ausgrenzung von sozial Schwachen und zur Verunsicherung des Mittelstandes ge­führt. Dieses Malaise trifft sich mit der gröss­ten Flüchtlingstragödie seit den 1950er Jah­ren. Dass der heftigste Widerstand gegen Schutzsuchende aus Ländern stammt, in de­nen es nur wenige Flüchtlinge gibt, weist dar­auf hin, dass nicht diese das Problem sind. Re­aktionäre Regierungen wie die ungarische, die ihren Bürgern nichts zu bieten haben als Nationalstolz, schüren den Fremdenhass. War dieser in der Zwischenkriegszeit judenfeind­lich geprägt, ist er heute muslimfeindlich auf­geladen.

Allerdings dürfen wir die wichtigen Unter­schiede zu damals nicht übersehen. Die sozi­ale Sicherheit und die Rechtsstaatlichkeit sind heute besser garantiert als in den 1930er Jah­ren. Die Verrohung und die Verzweiflung, die der Erste Weltkrieg zur Folge hatte, sind nicht vergleichbar mit den Frustgefühlen heutiger Wutbürger. Aktuell droht in Europa nicht der Faschismus, aber es drohen autoritäre und ausgrenzende Regimes.

Widerstand gegen Ausgrenzung

Zum Glück gibt es starke Gegenkräfte, die sich gegen Demokratie- und Sozialabbau und für die Rechte von Minderheiten und Flücht­lingen einsetzen. Im Unterschied zu den 1940er Jahren beteiligen sich heute auffällig viele Katholikinnen und Katholiken am Kampf gegen die grassierende Muslim- und Flücht­lingsfeindlichkeit. Ich erhoffe mir für das kom­mende Jahr eine stärkere Verbindung all der zahlreichen Bestrebungen für Toleranz und sozialen Ausgleich. Ob die Sozialwesen und Grundrechte in Europa leichter mit der EU oder gegen sie zu gewinnen sind, lässt sich in der jetzigen Situation nicht sagen. Es ist des­halb falsch, die EU-Frage zu einer Schlüssel­frage zu machen. Klar ist allerdings, dass nur Länder, die sich dem Austeritäts-Zwang Brüs­sels verweigern, ihre sozialen und industriel­len Errungenschaften verteidigen können.

Krieg und Frieden

Wenn die Schweiz wirtschaftlich und sozial besser dasteht, hat das einen schlechten und einen guten Grund. Der schlechte ist der, dass die Schweiz auch nach dem Ende des Bankge­heimnisses stark profitiert von der Ausbeutung der Dritten Welt durch Rohstoffkonzerne und von der Steuerflucht aus häufig armen Län­dern. Der gute ist der, dass dank der direkten Demokratie die schlimmsten Auswüchse des Neoliberalismus wie die Privatisierung öffent­licher Dienstleistungen oder der Abbau der AHV und anderer Sozialwerke verhindert wer­den konnten. Ich bin zuversichtlich, dass es ge­lingen wird, die geplante Unternehmenssteu­erreform, die die Reichen reicher und die an­deren ärmer machen würde, zu bodigen. Auch sollte es aufgrund all der Gewaltkonflikte im Nahen Osten möglich sein, Waffengeschäfte mindestens mit dieser Region endlich einzu­stellen. Waffenexporte schaden nicht nur dem Frieden, sie verletzen auch die Neutralität. 

Angesichts der Bestrebungen, die Rüstungs­budgets wieder zu erhöhen, erhoffe mich mir eine Wiederbelebung der europäischen Frie­dens- und Abrüstungsbewegungen. Ihnen hat der Papst kürzlich das Grundproblem erklärt: «Damit das System fortbestehen kann, müs­sen Kriege geführt werden, wie es die grossen Imperien immer getan haben.» Um einem Teil des Systems, dem Finanzsystem, die Finanzie­rung von Rüstung und Kriegen zu verbieten, wird im April 2017 die Volksinitiative: «Kein Schweizer Geld für die Kriege dieser Welt» lanciert. Der Kanton Bern ist – trotz National­bank – kein globales Finanzzentrum. Aber über die Waffenindustrie ist er gleichwohl in blutige Konflikte, insbesondere in die im Na­hen Osten, verwickelt. Ein katholischer, also weltumfassender Standpunkt, gebietet es, solche Zusammenhänge immer wieder zu be­denken. Das gilt am direktesten für die Mit­glieder von Pensionskassen, die Rentengelder in Firmen in­vestieren, die Kriege nähren.  

Wünsche für Bern

Das soziale Hauptproblem in unserem Kanton ist neben der Höhe der Krankenkassenprä­mien die Verteuerung des Wohnens. In der Stadt Bern hat in den letzten Jahren eine Ent­wicklung eingesetzt, die in mei­nem Herkunftskanton Zug dra­matische Folgen zeitigte: Fi­nanzschwache müssen weg-ziehen, weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen können. Ich er­hoffe mir, dass die Rot-Grün-Mitte-Regierung ent­schlossener denn je dafür kämpft, dass auch arme Perso­nen und Familien in der Stadt bleiben können. Dafür braucht es eine stärkere Förderung des sozialen und genossenschaftlichen Woh­nungsbaus. 

Genau wie es der fortschrittlichsten Kommu­ne der Deutschschweiz schlecht anstände, eine «Zugisierung» zuzulassen, steht es ihr schlecht an, die einzige der fünf grössten Städte der Eidgenossenschaft zu bleiben, die noch nie eine Frau an ihre Spitze gewählt hat. Genf tat dies 1968, Lausanne 1989, Zürich 2009 und Basel 2016. Eine fähige Frau als sichtbarer Kopf eines Gemeinwesens beför­dert die Gleichberechtigung der Geschlech­ter auch im Alltag. 

Das vergangene Jahr machte es schwierig, dem verbreiteten Pessimismus zu widerste­hen. Dieser aber droht genau die Kräfte zu schwächen, die es braucht, um eine bessere Welt zu schaffen. Einer, der trotz aller Wider­wärtigkeiten die Hoffnung nie verlor, war der englische Katholik und Märtyrer Thomas Morus. Vor genau 500 Jahren verfasste er das Buch «Utopia». Darin stellte er dem realen Jammertal eine ideale Gegenwelt entgegen. Eine Utopie ist nicht dazu da, erreicht zu wer­den. Aber als Orientierungshilfe und Mutma­cherin ist sie unentbehrlich.

 

Zur Person
Josef Lang (*1954), Historiker, alt Nationalrat,lebt seit vier Jahren in der Stadt Bern. Vor Kurzem erschien von ihm das gemeinsam mit Pirmin Meier verfasste Buch «Kulturkampf. Die Schweiz des 19. Jahrhunderts im Spiegel von heute» (HierundJetztVerlag, Baden 2016, Fr. 39.–).