Trotz allem optimistisch: Autor, Historiker und alt Nationalrat Josef Lang. Foto: Keystone
Für eine bessere Welt
«Katholischer» Aus- und Rückblick mit alt Nationalrat und Historiker Josef Lang.
Alt Nationalrat Josef Lang wagt für das «pfarrblatt» einen «katholischen» Rückblick auf ein schlechtes vergangenes Jahr. Er belässt es aber nicht dabei und hofft auf ein besseres neues Jahr.
Von Josef Lang
Im Sinne des griechischen Begriffs «katholikos», auf Deutsch «allumfassend», gehe ich in meinem Rück- und Ausblick von der Welt aus, um am Schluss in Bern zu landen. Im ausgehenden Jahr jagte eine Hiobsbotschaft die andere. Die schlimmste war gewiss die Wahl des Rechtspopulisten Donald Trump zum mächtigsten Mann der Welt. Allerdings war von seiner Gegnerin Hillary Clinton, der Befürworterin des Irak-Krieges und einer rücksichtslosen Globalisierung, auch nicht viel Gutes zu erwarten. Das Glück Trumps war das Pech des österreichischen Gesinnungsgenossen Norbert Hofer. Dieser stand mit Alexander van der Bellen einem Kandidaten gegenüber, der nicht dem unpopulären Establishment angehört.
Papst gegen Trump
Die grösste Tragödie des Jahres 2016 ist die Zerstörung der syrischen Stadt Aleppo, deren Schicksal an das baskische Gernika im Spanischen Bürgerkrieg erinnert. Die wichtigste politische Stütze des von Putin unterstützten Assad war der «Islamische Staat» (IS), der dem Despoten als Vorwand diente, eine oppositionelle Zivilbevölkerung rücksichtslos zu bombardieren. Der IS wiederum ist die Folge der völlig unsinnigen Irak-Invasion von 2003. Mit ihr haben die damaligen Kriegsherren Bush und Blair eine Kaskade von Katastrophen verursacht. Ohne den Irak-Krieg, der auch «Kreuzzug» genannt wurde, gäbe es heute keinen IS, wäre der Terrorismus weniger bedrohlich.
Das gefährlichste Problem für die Zukunft der Menschheit bleibt die Klimaerwärmung. Mit der Wahl eines Klimaleugners zum US-Präsidenten drohen die wenigen Fortschritte, die vor gut einem Jahr in Paris beschlossen wurden, zu versanden. Zur wichtigsten Gegenfigur zu Trump könnte der in ökologischen und sozialen Fragen aufgeschlossene Papst Franziskus werden. Seine Umwelt-Enzyklika «Laudato si», die an der Weltklimakonferenz eine segensreiche Wirkung entfaltete, ist eine wichtige Hilfe im Kampf gegen die Öllobby, die in Washington wieder an Einfluss gewinnen wird. Gerade die Klima- und die Armuts-Fragen zeigen, dass die Existenz einer Weltkirche, die Religionen allgemein, eine unersetzliche Hilfe sind im Engagement für einen lebenswerten Planeten.
Frauen in der Kirche
Allerdings haben alle Religionen aufgrund ihres Alters eine erbliche Belastung: die Diskriminierung der Frau. Mein im Februar dieses Jahres verstorbener Onkel, der in Basel, Allschwil und Rheinfelden als Vikar und Pfarrer gewirkt hatte, pflegte zu sagen: «Die Frauen lieben die Religionen, aber die Religionen lieben die Frauen nicht.» Während der Protestantismus in den letzten Jahrzehnten grosse Fortschritte gemacht hat, gab es innerhalb des Katholizismus unter den beiden Vorgängern von Franziskus einen Stillstand. Beim heutigen Papst gab es Fortschritte im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Gleichzeitig aber sprach er ein schroffes Nein zur Priesterweihe für Frauen aus. Ende Oktober zeigte der Vatikan der schweizerischen Pilgergruppe «Für eine Kirche mit den Frauen» die kalte Schulter. Dabei droht der katholischen Kirche in Europa wegen des Weiheverbots für Frauen und des Eheverbots für Priester das Personal auszugehen.
Europäische Frustgefühle
In eine noch dramatischere Existenzkrise könnte die Europäische Union geraten. Der Versuch, eine Einheitswährung einzuführen, ohne die politischen und sozialen Grundlagen dafür zu schaffen, hat die EU an den Rand des Abgrundes geführt. Das Primat des Geldes, die Macht des Grosskapitals, das Dogma der Austerität und das Defizit an Demokratie haben zur Ausgrenzung von sozial Schwachen und zur Verunsicherung des Mittelstandes geführt. Dieses Malaise trifft sich mit der grössten Flüchtlingstragödie seit den 1950er Jahren. Dass der heftigste Widerstand gegen Schutzsuchende aus Ländern stammt, in denen es nur wenige Flüchtlinge gibt, weist darauf hin, dass nicht diese das Problem sind. Reaktionäre Regierungen wie die ungarische, die ihren Bürgern nichts zu bieten haben als Nationalstolz, schüren den Fremdenhass. War dieser in der Zwischenkriegszeit judenfeindlich geprägt, ist er heute muslimfeindlich aufgeladen.
Allerdings dürfen wir die wichtigen Unterschiede zu damals nicht übersehen. Die soziale Sicherheit und die Rechtsstaatlichkeit sind heute besser garantiert als in den 1930er Jahren. Die Verrohung und die Verzweiflung, die der Erste Weltkrieg zur Folge hatte, sind nicht vergleichbar mit den Frustgefühlen heutiger Wutbürger. Aktuell droht in Europa nicht der Faschismus, aber es drohen autoritäre und ausgrenzende Regimes.
Widerstand gegen Ausgrenzung
Zum Glück gibt es starke Gegenkräfte, die sich gegen Demokratie- und Sozialabbau und für die Rechte von Minderheiten und Flüchtlingen einsetzen. Im Unterschied zu den 1940er Jahren beteiligen sich heute auffällig viele Katholikinnen und Katholiken am Kampf gegen die grassierende Muslim- und Flüchtlingsfeindlichkeit. Ich erhoffe mir für das kommende Jahr eine stärkere Verbindung all der zahlreichen Bestrebungen für Toleranz und sozialen Ausgleich. Ob die Sozialwesen und Grundrechte in Europa leichter mit der EU oder gegen sie zu gewinnen sind, lässt sich in der jetzigen Situation nicht sagen. Es ist deshalb falsch, die EU-Frage zu einer Schlüsselfrage zu machen. Klar ist allerdings, dass nur Länder, die sich dem Austeritäts-Zwang Brüssels verweigern, ihre sozialen und industriellen Errungenschaften verteidigen können.
Krieg und Frieden
Wenn die Schweiz wirtschaftlich und sozial besser dasteht, hat das einen schlechten und einen guten Grund. Der schlechte ist der, dass die Schweiz auch nach dem Ende des Bankgeheimnisses stark profitiert von der Ausbeutung der Dritten Welt durch Rohstoffkonzerne und von der Steuerflucht aus häufig armen Ländern. Der gute ist der, dass dank der direkten Demokratie die schlimmsten Auswüchse des Neoliberalismus wie die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen oder der Abbau der AHV und anderer Sozialwerke verhindert werden konnten. Ich bin zuversichtlich, dass es gelingen wird, die geplante Unternehmenssteuerreform, die die Reichen reicher und die anderen ärmer machen würde, zu bodigen. Auch sollte es aufgrund all der Gewaltkonflikte im Nahen Osten möglich sein, Waffengeschäfte mindestens mit dieser Region endlich einzustellen. Waffenexporte schaden nicht nur dem Frieden, sie verletzen auch die Neutralität.
Angesichts der Bestrebungen, die Rüstungsbudgets wieder zu erhöhen, erhoffe mich mir eine Wiederbelebung der europäischen Friedens- und Abrüstungsbewegungen. Ihnen hat der Papst kürzlich das Grundproblem erklärt: «Damit das System fortbestehen kann, müssen Kriege geführt werden, wie es die grossen Imperien immer getan haben.» Um einem Teil des Systems, dem Finanzsystem, die Finanzierung von Rüstung und Kriegen zu verbieten, wird im April 2017 die Volksinitiative: «Kein Schweizer Geld für die Kriege dieser Welt» lanciert. Der Kanton Bern ist – trotz Nationalbank – kein globales Finanzzentrum. Aber über die Waffenindustrie ist er gleichwohl in blutige Konflikte, insbesondere in die im Nahen Osten, verwickelt. Ein katholischer, also weltumfassender Standpunkt, gebietet es, solche Zusammenhänge immer wieder zu bedenken. Das gilt am direktesten für die Mitglieder von Pensionskassen, die Rentengelder in Firmen investieren, die Kriege nähren.
Wünsche für Bern
Das soziale Hauptproblem in unserem Kanton ist neben der Höhe der Krankenkassenprämien die Verteuerung des Wohnens. In der Stadt Bern hat in den letzten Jahren eine Entwicklung eingesetzt, die in meinem Herkunftskanton Zug dramatische Folgen zeitigte: Finanzschwache müssen weg-ziehen, weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen können. Ich erhoffe mir, dass die Rot-Grün-Mitte-Regierung entschlossener denn je dafür kämpft, dass auch arme Personen und Familien in der Stadt bleiben können. Dafür braucht es eine stärkere Förderung des sozialen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus.
Genau wie es der fortschrittlichsten Kommune der Deutschschweiz schlecht anstände, eine «Zugisierung» zuzulassen, steht es ihr schlecht an, die einzige der fünf grössten Städte der Eidgenossenschaft zu bleiben, die noch nie eine Frau an ihre Spitze gewählt hat. Genf tat dies 1968, Lausanne 1989, Zürich 2009 und Basel 2016. Eine fähige Frau als sichtbarer Kopf eines Gemeinwesens befördert die Gleichberechtigung der Geschlechter auch im Alltag.
Das vergangene Jahr machte es schwierig, dem verbreiteten Pessimismus zu widerstehen. Dieser aber droht genau die Kräfte zu schwächen, die es braucht, um eine bessere Welt zu schaffen. Einer, der trotz aller Widerwärtigkeiten die Hoffnung nie verlor, war der englische Katholik und Märtyrer Thomas Morus. Vor genau 500 Jahren verfasste er das Buch «Utopia». Darin stellte er dem realen Jammertal eine ideale Gegenwelt entgegen. Eine Utopie ist nicht dazu da, erreicht zu werden. Aber als Orientierungshilfe und Mutmacherin ist sie unentbehrlich.
Zur Person
Josef Lang (*1954), Historiker, alt Nationalrat,lebt seit vier Jahren in der Stadt Bern. Vor Kurzem erschien von ihm das gemeinsam mit Pirmin Meier verfasste Buch «Kulturkampf. Die Schweiz des 19. Jahrhunderts im Spiegel von heute» (HierundJetztVerlag, Baden 2016, Fr. 39.–).