Die Bosnierin Nura weiss, wie man sich beim Putzen bewegen soll, damit man gesund bleibt. Fotos: Marc Bachmann
Für eine saubere Schweiz
Zehn Migrant:innen erzählen
Wer putzt die Schweiz? Oft sind es Migrant:innen. Die Autorin Marianne Pletscher gibt zehn von ihnen eine Stimme und lässt sie aus ihrem Leben erzählen.
von Marcel Friedli
Blau, rot und grün: An diesen Farben orientiert sich die 53-jährige Nura bei ihrer Arbeit. Mit dem blauen Lappen fährt sie feucht über Salon- und Bürotisch, um jeglichen Staub zu vertreiben. Das rote Tuch ist fürs WC bestimmt. Das grüne kommt zum Einsatz, wenn die Küche an der Reihe ist.
Die Farben der Lappen und welches Reinigungsmittel wann am besten wirkt – das kennt Nura aus dem Effeff. Seit einundzwanzig Jahren lebt sie in Köniz, nachdem sie Bosnien wegen des Krieges verlassen hat. Sie ist eine der zehn Protagonist:innen, die im Buch von Marianne Pletscher und Marc Bachmann die Geschichte ihres Lebens erzählen: jene ihrer Flucht und ihrer Integration hier in der Schweiz (siehe Kasten). «Ich putze gern», sagt Nura. «Jemand hat mir eine Stelle in einer Fabrik angeboten. Ich sagte Nein. Ohne Ausbildung ist Putzen besser.» Wobei sie doch eine Ausbildung hat. Zwar keine klassische im Sinne eines Berufsabschlusses; jedoch eine, die sich auf ihren Job bezieht. «Ich habe an Kursen teilgenommen und vieles über die richtigen Reinigungsmittel gelernt. Und ich weiss auch, wie man sich beim Putzen bewegen soll, damit man gesund bleibt.»
Angestellt ist Nura über «proper job». Deren Geschäftsmodell: Menschen, die zu niedrigem Lohn arbeiten, anständig behandeln – und ihnen einen Lohn zahlen, der ihre Existenz finanziell sichert. Nura putzt in zwanzig Wohnungen. Das bedarf des cleveren Organisierens, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. «Für jeden Tag», erzählt sie, «habe ich einen separaten Schlüsselanhänger. Mal sind es zwei, mal drei Schlüssel. Welcher Schlüssel zu welchem Haushalt gehört, weiss ich auswendig.» Sie arbeite sehr schnell. «Die fünf Minuten Pause lege ich meist am Schluss ein.»
Der grosse Traum
In der katholischen Pfarrei Guthirt in Zürich reinigt Michael aus Eritrea die Orgel in der Kirche. «Das ist die schönste Orgel in der ganzen Stadt Zürich», sagt er. «Viele Organistinnen und Organisten kommen hierher, um zu spielen.»
Michael ist einer der nicht so häufigen Männer, die als Migranten putzen. Von der Krypta bis zu Glockenstuhl: Regelmässig reinigt der 46-Jährige alle Räume der Kirche. Wobei das Putzen nicht das ganze Spektrum seiner Aufgaben umfasst. «Ich putze nicht nur. Ich begleite den Pfarrer auch bei Messen und bei Beerdigungen», sagt Michael, der hier seit neun Jahren als Sakristan angestellt ist. «Ich musste die ganze Liturgie kennenlernen.»
Die Kirche ist für Michael eine erweiterte Wohnung; zu ihr trägt er, zusammen mit dem Hauswart, liebevoll Sorge. «Ich habe eine entsprechende Ausbildung gemacht», betont der frühere Militärpilot, der aus seiner Heimat geflüchtet ist. Mit seiner Frau Embada hegt Michael einen grossen Traum: «Wenn wir den Schweizer Pass haben, möchten wir eine grosse Reise machen», sagt er mit einem Lächeln. Um dieses Dokument zu erhalten, müssen sich die beiden wohl noch gedulden – länger als ein Weilchen.
Lesen Sie dazu: «Es ist anspruchsvoll, gut zu putzen». Interview mit Marianne Pletschner