Für Dorothée Reize wird Bachs Johannespassion erst mit dem Publikum zu einem Ganzen und zu einem «mystischen Erlebnis». Foto: Benno Hunziker

«Für mich ist Bach der fünfte Evangelist»

Die «Basler Madrigalisten» interpretieren die Johannespassion neu

Von Johann Sebastian Bachs Johannespassion ist keine endgültige Fassung überliefert. Bach selbst hat sie immer wieder den jeweiligen Bedürfnissen angepasst. Die «Basler Madrigalisten» interpretieren sie aus heutiger Sicht «neu gedacht» in Bern. Der Dirigent Raphael Immoos und die Schauspielerin Dorothée Reize im Gespräch über dieses zeitlose Werk.

Interview: Anouk Hiedl

«pfarrblatt»: Es gibt unzählige Werke zur Passion Christi. Warum haben Sie sich für Bachs Johannespassion entschieden?

Raphael Immoos: Johann Sebastian Bachs Johannespassion gehört zu unserem kulturellen Erbe. Mindestens einmal im Leben muss man sich mit diesem wunderbaren Werk auseinandersetzen. Diese Gelegenheit bietet sich im März auf eine besondere Art in der Berner Dreifaltigkeitskirche.

Warum ersetzen Sie in «Ihrer» Johannespassion die gesungenen Rezitative durch gesprochenen Text?

Die Rezitative geben den Text des Johannesevangeliums wieder. Es ist uns wichtig, dass alle diese Geschichte verstehen. In der Originalfassung kann man nicht davon ausgehen – barockes Deutsch klingt anders als das heutige. In unserer überarbeiteten Fassung kommen zudem keine Einzelnamen vor, und die Juden werden nicht für Jesu Kreuzigung verantwortlich gemacht. Inzwischen wissen wir, dass kein Volk vor Krieg und Terror gefeit ist. Sündenböcke zu suchen, löst keine Probleme


Eine Frau als Evangelistin: Dorothée Reize erzählt in Ihrer Interpretation die Handlung der Passionsgeschichte. Warum fiel die Wahl auf sie?

Dorothée Reize ist eine hervorragende, vielseitige Schauspielerin und Sängerin. Sie war in diversen Filmen präsent, etwa in «Lüthi & Blanc» oder in «Der Bestatter». Sie setzt sich auch mit geistlichen Themen auseinander, beispielsweise in der Produktion «Ranft-Ruf».

Wie haben Sie auf die Anfrage reagiert, die Rolle des Evangelisten zu übernehmen?

Dorothée Reize: Ich war überwältigt. Es war eine der ungewöhnlichsten Anfragen, die ich je bekommen habe. Dass es nicht darum ging, die Rolle unbedingt mit einer Frau zu besetzen, sondern dass meine Darstellung der Dorothea im «Ranft-Ruf» überzeugt hat, war mir eine grosse Freude.


Warum haben Sie zugesagt?

Da gab es nichts zu überlegen. Zwar trete ich oft mit biblischen Texten in Kirchen auf, aber das ist etwas ganz Neues. Zudem ist es eine grosse Ehre, mit solch guten Musiker:innen auftreten zu dürfen.

Wie hat sich Ihre Interpretation des Werks entwickelt?

Es brauchte viel eigene Vorbereitung, um den Text zu lernen und ihm nachzuspüren. Bei der ersten gemeinsamen Probe mussten wir uns erst finden, es war für alle Neuland. Danach wuchsen wir immer mehr zusammen. Die Krönung sind jeweils die Konzerte, erst wenn das Publikum dazukommt, wird es ein Ganzes, ein tiefes mystisches Erlebnis, eine Art Gottesdienst.

Was berührt Sie in Bachs Johannespassion?

Raphael Immoos: Die Choräle und Arien richten den Blick nach innen. Es sind keine Bibeltexte, sondern menschliche Empfindungen. Obwohl wir die Musik nun so oft gesungen haben, sind wir jedes Mal, selbst in den Proben, neu davon ergriffen. Das möchten wir mit dem Publikum teilen.

Dorothée Reize: Bach macht immer etwas mit mir, vor allem die gesungenen Passagen. Auch für mich ist er der fünfte Evangelist. Dass ich in einer Interpretation dieses Werks auftreten darf, in der das gesprochene Wort diese Wichtigkeit erhält, ist ein grosses Geschenk.

 

Konzert: Bachs Johannespassion neu gedacht

Basler Madrigalisten
Colla Voce Consort (zwei Violinen, Viola, Gambe, Traversflöte, zwei Oboen d’amore, Fagott, Orgel)
Sprecherin: Dorothée Reize, Leitung: Raphael Immoos, Textbearbeitung: Theo Schaad

Samstag, 11. März, 19.00, Basilika Dreifaltigkeit, Bern. Eintritt frei (Kollekte), Dauer: ca. 80 Minuten.

Weitere Infos: www.musik-dreifaltigkeit.ch und www.basler-madrigalisten.ch
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