«… lassen vielleicht die Begüterten in ihren warmen Häusern zusammenzucken.» Foto: wikimedia, Holger Ellgaard
«Fürchtet Euch nicht!»
Die Botschaft von Betlehem gilt heute wie einst und je. Teil 3 der «pfarrblatt»-Winterserie.
Die Botschaft von Betlehem gilt heute wie einst und je.
von Beatrice Eichmann-Leutenegger
«Ob ich das nächste Weihnachtsfest noch erleben werde?» Der Vater erschreckte uns mit seiner bangen Frage. Was sollten wir darauf antworten? Es gab keine Anzeichen, die in eine düstere Richtung wiesen. Doch ein Jahr später war die Krankheit so weit fortgeschritten, dass er wenige Wochen nach dem 24. Dezember starb. Fortan waren die Weihnachtsfeste mit Wehmut durchwirkt, und eine ungeteilte Freude mochte sich nicht einstellen.
Berlin: Es berührt merkwürdig, dass sich auch in den beiden folgenden literarischen Zeugnissen die Erinnerung an Weihnachten als helle Folie vor einem dunklen Hintergrund entpuppt. Wenn man um den weiteren Verlauf der Geschichte weiss, erscheint das Fest selbst in irrlichterndem Glanz.
Der Kulturphilosoph Walter Benjamin (1892–1940) lässt uns im Buch «Berliner Kindheit um Neunzehnhundert» (entstanden in den sich verdüsternden Dreissigerjahren) an einer prägenden Erfahrung teilnehmen. Seine jüdische Familie beging das Fest wie die christliche Umgebung, galt doch die Einhaltung ihrer Rituale als Gradmesser für eine gelungene Assimilation. Erst feierte man im eigenen Heim und einen Tag später bei der Grossmutter auf Blumeshof 12, wo im festlich geschmückten Raum die langen Tafeln standen, überhäuft mit Geschenken für die Verwandten und die Dienerschaft.
Der Knabe jedoch «blieb auf der Schwelle wie angewurzelt stehen, auf den Lippen ein Lächeln, von dem keiner hätte sagen können, ob der Glanz des Baumes es in mir erweckte oder aber der der mir bestimmten Gaben, denen ich mich, überwältigt, nicht zu nahen wagte.»
Nachts, als er wieder vor die Haustür tritt, sieht er das winterliche Berlin «so in sich selbst versunken wie ein Sack, der schwer von mir und meinem Glück war …». Dieses Glücksgefühl kehrte später nie mehr zurück. Als einer der vielen Verfolgten floh Walter Benjamin über die Pyrenäen, um den Nazis zu entgehen – vergeblich. In seiner Verzweiflung nahm er sich im spanischen Grenzort Port Bou das Leben.
Lübeck: In Lübeck naht im Haus der alten Konsulin Bethsy Buddenbrook geb. Kröger um 1868 das Weihnachtsfest, aber in der Luft hängen ungute Ahnungen. Der Direktor der Firma steht wegen verbrecherischer Geschäftsmanöver unter gerichtlicher Anklage, die Tochter Tony lebt in einer unglücklichen Ehe, der musisch begabte Enkel Hanno erweist sich als lebensuntüchtig.
Zusehends wohnt die Leserschaft von Thomas Manns genialem Roman (1901) dem Verfall des einst angesehenen Hauses Buddenbrook bei. Aber jetzt öffnen sich wie jedes Jahr die Schiebetüren zum Festsaal. Und dann erhebt sich die Konsulin, ergreift die Hand ihres Enkels Hanno und die ihrer Urenkelin Elisabeth und begibt sich mit ihnen mitten hinein in die Weihnachtspracht. Doch irgendwann geht auch dieses Fest zu Ende:
«… Die Lichter des grossen Baumes waren herabgebrannt und ausgelöscht, so dass die Krippe nun im Dunkel lag; aber einzelne Kerzen an den kleinen Bäumen auf der Tafel brannten noch, und hie und da geriet ein Zweig in den Bereich eines Flämmchens, sengte knisternd an und verstärkte den Duft, der im Saale herrschte (…). Es war nun wieder still genug, die leisen Drehorgelklänge zu vernehmen, die von einer fernen Strasse durch den kalten Abend kamen.»
Mit den Drehorgelklängen eines armen Musikanten meldet sich die Welt ausserhalb der Villen – die Welt der Benachteiligten, der Obdachlosen, welche in das Ambiente der Wohlhabenden eindringt. Die unterschiedlichen Bereiche lassen sich nicht voneinander trennen; ungewollt stossen sie aufeinander, lassen vielleicht die Begüterten in ihren warmen Häusern zusammenzucken.
Auch das biblische Ereignis spielte sich nicht in einem solid geschützten Haus ab, sondern draussen auf den Feldern. Auf das überwältigende Geschehen folgte die Geschichte einer Flucht, die heute als Inbegriff für die Situation jener Menschen erscheint, welche fliehen müssen. So ist Weihnachten schon in der biblischen Erzählung durchwoben von dunklen Ahnungen, die voraus auf Golgota weisen.
Wie Inseln schwimmen im Ozean der Erinnerungen die Bilder von Weihnachten, wie sie sich einst ins Gedächtnis gesenkt haben. Vielleicht fühlte man sich aufgehoben im Kreis der Familie, vielleicht durchlebte man Zwist, vielleicht steckte man in der Falle der Einsamkeit, wollte von diesem Fest, vom Leben überhaupt nichts mehr wissen.
Selbst wenn man sich dazu aufgerafft hat, an einer Veranstaltung für Alleinstehende teilzunehmen, ist die Rückkehr in die stille Wohnung schwierig. Und zu allem die täglichen Meldungen aus Kriegs- und Krisengebieten, die sich durch Weihnachten nicht aufhalten lassen. Nein, ein Fest ungeteilter Freude scheint unmöglich zu sein.
Doch nicht nur damals, sondern erst recht heute gilt die Botschaft des Engels: «Fürchtet Euch nicht!»