«pfarrblatt»-Redaktorin Sylvia Stam. Foto: Pia Neuenschwander
Fürs Leben einstehen
Editorial der aktuellen Ausgabe von Sylvia Stam
«Voll gruselig» – «Ich könnte das nicht». So lauteten die Reaktionen aus meinem Umfeld, als ich von meiner Probefahrt im Sarg erzählte. Anlässlich des Berner Stadtfestivals «endlich.menschlich» fuhr ich in einem Sarg auf der Ladefläche des Bestattervelos eine Runde durch den Berner Bremgartenfriedhof. Es ist ein Luxus, sich auf diese Weise mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen. Die Konfrontation damit wirft unweigerlich die Frage auf: Lebe ich wirklich?
Eine Frage, die ich ebenso wenig verdrängen kann wie den Gedanken an die vielen Tausend Menschen, die auf dem Weg übers Mittelmeer sterben. Der Anblick dieser Verstorbenen gehört zu den schwierigsten Erfahrungen der Ingenbohler Schwester Rufina. Sie lebt in Lampedusa, wo sie den ankommenden Migrant:innen, die die Fahrt überlebt haben, Freundlichkeit und menschliche Wärme gibt. «Wir gehören zu keiner Behörde», sagt sie. «Unser Ausweis ist das Kreuz».
Auf dieses Kreuz setzten auch viele Menschen ihre Hoffnung, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden. In rund 10000 Briefen baten sie den damaligen Papst Pius XII. um Hilfe. Einige davon wurden kürzlich in Bern vorgelesen. Tatsächlich wurde der Vatikan in vielen Fällen aktiv, aber nicht immer konnten die Bittstellenden gerettet werden.
«Unser Ausweis ist das Kreuz», sagt Schwester Rufina. Welch simple Aussage und welch grosse Tragweite. Denn das gilt für alle, die sich Christ:innen nennen. Unser Ausweis ist das Kreuz, an dem einer starb, der das Leben verkündete. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen den Mut, wirklich zu leben, und wo immer es nötig ist, fürs Leben einzustehen.
Sylvia Stam,
«pfarrblatt»-Redaktorin