Ingenieure suchen den Boden mit einem spziellen Radar nach Leichen ab. Die Überreste befinden sich in der Sickergrube des ehemaligen Mutter-und-Kind-Heimes in Tuam, County Galway im Westen Irlands. Das Heim wurde von den Schwestern des Ordens «Bon Secours» zwischen 1925 und 1961 betrieben. Die Menschen aus dem Ort haben an der Mauer eine Art Altar für die verscharrten Kinder errichtet. Foto: Keystone

Fund von Kinderleichen im irischen Tuam sorgt für Entsetzen

15.03.2017

Der Fund sorgt für ein weiteres dunkles Kapitel in der katholischen Geschichte Irlands.

Irland wird von einem neuen Skandal um katholische Sozialeinrichtungen erschüttert. 800 Säuglings- und Kinderleichen wurden in Tuam nahe eine Heims für «gefallene Mädchen» gefunden. Entsorgt in einer Sickergrube.

Seit Jahrzehnten hielten sich Gerüchte. Immer wieder berichteten spielende Kindern und Bauarbeiter von Knochenfunden auf dem Gelände des ehemaligen Mutter-Kind-Heims im westirischen Tuam. Die Bewohner der Kleinstadt vermuteten schon lange ein unmarkiertes Massengrab. Doch waren es tatsächlich verscharrte Kinderknochen aus dem Heim oder nicht doch Überreste von Opfern der grossen Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts?
Lokalhistorikerin Catherine Corless ging den Gerüchten nach. Sie fand heraus, dass in dem von einem katholischen Frauenorden betriebenen Heim zwischen 1925 und 1961 insgesamt 796 Totenscheine für Babys ausgestellt worden waren. In diesen 36 Jahren gab es jedoch lediglich eine beurkundete Bestattung. Am vergangenen Freitag veröffentlichte die staatliche Kommission zur Untersuchung der Mutter-Kind-Heime eine Erklärung zu den Ergebnissen zweier Probeausgrabungen.  

Kinderleichen in Klärgrube

Seither ist es grausige Gewissheit: Kinderleichen wurden von den Schwestern des Bon-Secour-Ordens achtlos in einer Klärgrube und unteririschen Kammern entsorgt. Bei Probeausgrabungen wurden laut Kommission «erhebliche Mengen» menschlicher Überreste gefunden. Um wie viele Kinder es konkret geht, steht noch nicht fest.  
Fest steht aber, dass es sich bei den gefundenen Knochen um die Überreste von Föten und Kindern im Alter von bis zu drei Jahren handelt. Ihr Todeszeitpunkt lasse sich auf den Zeitraum zwischen 1925 und 1961 eingrenzen, als das Mutter-Kind-Heim betrieben wurde.  
Kirche, Staat und die irische Gesellschaft zeigen sich entsetzt. Der irische Premierminister Enda Kenny bezeichnete das Massengrab als eine «Kammer des Schreckens», der Erzbischof von Tuam, Michael Neary, zeigte sich von der Grössenordnung des Funds schockiert und die Vereinigung katholischer Priester Irlands (ACP) bekannte «Traurigkeit und Scham».  

Opfervertreter vermuten weitere Fälle

Doch Tuam ist wahrscheinlich kein Einzelfall, glaubt Paul Redmond, der Vorsitzende der Vereinigung der Überlebenden der Mutter-Kind-Heime. Für ihn ist es «nur die Spitze des Eisberges». Seinen Berechnungen zufolge kamen mindestens 6000 Kinder in den neun Heimen des Bon-Secours-Ordens ums Leben. Untersuchungen in grösseren Heimen wie St. Patrick's und Bessboro dürften seiner Meinung nach noch Schlimmeres ans Licht bringen. Er sieht die Kommission zur Untersuchung der Mutter-Kind-Heime daher in der Pflicht, weitere Ausgrabungen zu genehmigen und die Untersuchungen auszuweiten.  
Seit Anfang 2015 beschäftigt sich die staatliche Kommission unter Leitung der renommierten Richterin Yvonne Murphy mit zweifelhaften Vorgängen in 14 irischen Mutter-Kind-Heimen und vier Sozialeinrichtungen, den sogenannten County Homes. Zentrale Themen sind die Bedingungen für die Unterbringung von Frauen und Kindern ebenso wie die hohe Kindersterblichkeit in den Heimen. Fast ein Drittel aller in Tuam geborenen Kinder erlebte den ersten Geburtstag nicht.
Neben Bestattungspraktiken untersucht das Gremium, wie man mit Adoptionen verfuhr und was es mit medizinischen Versuchen, etwa Tests zu Impfstoffen, in den Heimen auf sich hatte. Im Untersuchungszeitraum von 1922 bis 1998 lebten insgesamt rund 35'000 Frauen in solchen Einrichtungen. Der Abschlussbericht der Kommission wird im Februar kommenden Jahres erwartet. Doch schon seit September 2016 liegt der irischen Ministerin für Kinder und Jugend, Katherine Zappone, ein Zwischenbericht vor, dessen beschleunigte Veröffentlichung nun vehement gefordert wird.  

Diskussion um Schuld tobt

Derweil tobt in Irland die Diskussion um die Schuld am Massengrab. Die Vereinigung katholischer Priester in Irland betonte, die Kirche müsse aufgrund der herausgehobenen Position, die sie zum Zeitpunkt des Geschehens in dem katholisch geprägten Land innehatte, einen grossen Teil der Verantwortung übernehmen.
Doch auch Gesellschaft und Staat müssten sich angesichts der verübten Stigmatisierung unehelicher Kinder und ihre Mütter eine Komplizenschaft eingestehen, sagte Premierminister Kenny am Dienstag vor dem Unterhaus.Tuam sei ein «soziales und kulturelles Grabmal», so Kenny. Die Gesellschaft habe ihr Mitgefühl und ihre Barmherzigkeit für ein «morbides und krankhaftes Streben nach Ehrbarkeit» begraben und diese Kinder aufgegeben. Niemand dürfe sich etwas vormachen: «Keine Nonnen sind in unsere Häuser eingebrochen, um unsere Kinder zu entführen.»  

Offene Bestattungsfrage

Ein Gerichtsmediziner soll nun eine Empfehlung dazu aussprechen, was mit den Knochenfunden aus Tuam passieren soll. Der Erzbischof von Tuam betonte, eine würdige Bestattung der sterblichen Überreste müsse Priorität haben. Doch selbst unter ehemaligen Heimbewohnern sei eine Exhumierung und Umbettung der Kinder umstritten, so der Überlebenden-Sprecher Redmond. Dass es zu strafrechtlichen Ermittlung kommt, halten Polizeiquellen für höchst unwahrscheinlich, da es dafür einen begründeten Verdacht auf ein Verbrechen geben müsse.  
Ehemalige Heimbewohner warten indes auf eine offizielle Entschuldigung der Kirche und des Staates, in deren Auftrag die Ordensgemeinschaften tätig waren. Im irischen Unterhaus wurde am Dienstag angedeutet, dass eine offizielle Entschuldigung zur Diskussion steht. Doch die Irische Bischofskonferenz hat sich bislang, ebenso wenig wie der Frauenorden der Bon-Secours-Schwestern, zu diesem Kapitel der irischen Vergangenheit nicht geäussert.

Kristina Moorehead, kna

Hören Sie dazu auch den Beitrag im Echo der Zeit, Radio SRF, 14. März 2017

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Irische Bischofskonferenz äussert sich zu Massengrab in Tuam

Die Irische Bischofskonferenz hat sich bei ihrem Frühjahrstreffen in Maynooth erstmals zum Fund eines Massengrabs auf dem Gelände eines früheren katholischen Mutter-Kind-Heims im westirischen Tuam geäussert. Die Funde erinnerten an eine Zeit, in der unverheiratete Mütter verurteilt und stigmatisiert wurden, so die Bischöfe in einer am Mittwochabend veröffentlichten Erklärung.  

Es gehe nun darum, sich der Vergangenheit zu stellen und aufzuklären, was geschehen sei. Die katholische Kirche unterstütze die Arbeit der Untersuchungskommission. Zudem müsse sichergestellt werden, dass die Grabstätten angemessen markiert würden, «damit der Verstorbenen und ihrer Familien mit Würde gedacht» werden könne.  
Bei Probeausgrabungen auf dem Gelände des vom katholischen Orden der Bon-Secour-Schwestern betriebenen Heims wurden laut Kommissionsbericht vom vergangenen Freitag «erhebliche Mengen» menschlicher Überreste gefunden.  
Den Angaben zufolge handelt es sich dabei um Föten sowie Kinder im Alter von bis zu drei Jahren. Der Todeszeitpunkt lasse sich auf den Zeitraum zwischen 1925 und 1961 eingrenzen, in dem das Mutter-Kind-Heim betrieben wurde; ein Teil der Überreste stamme mutmasslich aus den 1950er-Jahren.  

Das ehemalige St. Mary's-Mother-and-Baby-Home geriet 2014 in die Schlagzeilen. Die Lokalhistorikerin Catherine Corless hatte ermittelt, dass für den Zeitraum zwischen 1925 und 1961 in dem Heim 796 Totenscheine für Babys ausgestellt worden waren. Im gleichen Zeitraum gab es jedoch lediglich eine beurkundete Bestattung.  

Weitere Heime

Seit Anfang 2015 arbeitet eine Untersuchungskommission zweifelhafte Vorgänge aus 14 irischen Mutter-Kind-Heimen und vier Sozialeinrichtungen, sogenannten County Homes, im Zeitraum von 1922 bis 1998 auf. Während dieser Zeit lebten rund 35.000 Frauen in solchen Einrichtungen. Meist handelte es sich um unverheiratete Schwangere, die dort ihre Kinder zur Welt bringen sollten. Die Sterblichkeitsrate der Kinder war Medienberichten zufolge unverhältnismäßig hoch.

kna/kath.ch