Die Berner Oberländerin Jeniffer Mulinde Schmid betreibt in Berlin zwei Pop-up-Beizen. Während der Fussball-EM Treffpunkte für Exilschweizer:innen. Foto: Vera Rüttimann

Fussball-EM bei der «Schwarzen Heidi»

24.06.2024

Reportage aus Berlin zum EM-Spiel Schweiz-Deutschland

Das Restaurant «Schwarze Heidi» ist eine Institution in Berlin. Hier verfolgen aktuell Exil-Schweizer:innen zusammen mit deutschen Fussballfans die Spiele der «Nati». So wie gestern das prestigeträchtige Spiel Deutschland-Schweiz. Gastgeberin ist Jeniffer Mulinde Schmid, die Namengeberin der «Schwarzen Heidi» ist eigentlich Berner Oberländerin.

Vera Rüttimann

Und dann fiel es doch, dieses Last-Minute Tor für die deutsche Mannschaft. Geschossen von Niclas Füllkrug. Die Schweizer «Nati» war so nahe dran am Sieg. Beim ersten Treffer für die «Nati» gab es Gratis-Schnaps aus Appenzell.

Das Spiel Deutschland-Schweiz sehen sich an diesem denkwürdigen Sonntagabend etliche in Berlin lebende Schweizer:innen und Deutsche an. Sie sitzen in der «Schwarzen Heidi», einer Art Pop-up-Beiz auf einer Brache in Berlin-Friedrichshain. Zentrum ist eine grosse hölzerne Berghütte, aus der es betörend riecht. Unweit von ihr rauscht die Berliner S-Bahn vorbei. Die Fahrgäste darin linsen auf diesen ungewöhnlichen Ort, der mit vielen Schweizer Fahnen und ausrangierten Ski-Kabinen aus St. Moritz dekoriert ist. Ein irritierender und zugleich lustiger Anblick.


Heimathafen für Exil-Schweizer:innen

Die Leute sitzen vor einem grossen Bildschirm. Sie tragen die Trikots der Schweizer Nationalmannschaft. Um die Tische wirbelt eine junge, dunkelhäutige Frau im Dirndl. Für jeden hat sie ein fröhliches «Hoi!» Jeniffer Mulinde Schmid ist Inhaberin und Namensgeberin der «Schwarzen Heidi». Die «Nati» nimmt Fahrt auf. «Nach jedem Schweizer Tor gibt es einen Schnaps aufs Haus!», ruft sie in die Runde.

Viele der Gäste kennen das. Sie haben in der «Schwarzen Heidi» schon manches Schweizer Fussballspiel verfolgt. Auch das zweite Lokal gleichen Namens ist Heimathafen für Exil-Schweizer in Berlin. Hier trifft sich stets ein gemischtes Kreativ-Volk aus Theater, Film und Medien und Angestellte der Schweizer Botschaft. Und allerlei Promis. «Als Urs Fischer noch Trainer des 1. FC Union Berlin war, kam er oft hierher», sagt die fröhliche Schweizerin.

Schwarz und schweizerdeutsch?

In Berlin sorgt Jeniffer Mulinde-Schmid immer wieder für Irritationen. Wenn Hauptstädter ihr in ihrer Beiz gegenübersitzen, können sie die dunkelhäutige Frau erst nicht einordnen. Schwarz und akzentfreies schweizerdeutsch? Und dann noch in einem schicken alpenländischen Dirndl! Jeniffer Mulinde Schmid sagt lachend: «Ach die Deutschen, sie haben keine Ahnung von der Schweiz!» Von der heutigen modernen Schweiz, wie sie sagt, die multinational- und kulturell gemischt sei.

Die irritierende Blicke kennt sie bereits aus ihrer Anfangszeit, als sie in der Helvetia Röschtibar an der Mariannenstrasse in Kreuzberg zu kellnern begann. Da tourte sie noch mit ihrem Comedy-Programm «Schwarze Heidi», in dem sie als schwarze Frau Schweizer Klischees karikierte, durch Deutschland. Nach dem Rückzug des Betreibers übernahm sie das Restaurant 2016 dann selbst. Sie taufte es «Schwarze Heidi». Der Name passt zu ihr. «Ich fühle mich auch in Berlin noch immer als Schweizerin», sagt sie. Zu ihrer einstigen Heimat Berner Oberland habe sie noch immer eine enge Beziehung.


Kenia-Zürich-Berlin

Schon bevor Jeniffer Mulinde Schmid nach Berlin kam, hatte sie ein bewegtes Leben. Geboren wurde sie in Mombasa, Kenia, als Tochter einer ugandischen Flugbegleiterin. Als kleines Kind kam sie in die Schweiz. Sie wuchs im Berner Oberland auf, wo die Familie des neuen Lebensgefährten ihrer Mutter hinzog. Schon dort fiel sie mit ihrer dunklen Hautfarbe auf. Später zog die Familie in die Nähe des Zürcher Flughafens. Früh entdeckte sie ihr schauspielerisches Talent. Die Gastronomin besuchte die Schauspielschule München. Sie trat an renommierten Theatern auf. Die Reduzierung auf schwarze Rollen gefiel ihr jedoch zunehmend nicht.

Für Berliner gut ins Klischee passen die Schweizer Spezialitäten, die Jeniffer Mulinde Schmid auftischt. Sie schmecken einfach zu lecker! Die Berliner:innen lieben ihre Rösti, Spätzli und die selbst kreierten Schweizer Tapas («Schwapas»). «Ihr Käsefondue ist das Beste der Stadt», sagt ein Gast. Die drei Mischungen werden extra für sie von einer Käserei in der Schweiz hergestellt.


Der Weg geht weiter

Zurück zum Spiel. Ein Schrei aus vielen Kehlen, als Niclas Füllkrug das Spiel entscheidet. Tausendfacher Aufschrei beim Public Viewing vor dem Reichstag. Stille auch bei den Schweizer:innen. Ein paar verlieren vor Schreck ihren Brotwürfel im Käsefondue. Die Köpfe hängen tief. «Nein, so schade!», sagt Jeniffer Mulinde-Schmid. Nach dem Spiel sitzt sie ermattet in der illuminierten Skigondel.

«Dieser Weg wird kein leichter sein» - dieses Lied hängt jetzt wohl einigen im Kopf rum. Doch der Weg der «Nati», er geht weiter. Jeniffer Mulinde Schmid wird in ihren rot-weiss geflaggten beiden Beizen in Berlin wohl noch manches Raclette und Fondue auftischen.