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Gebet, das –

19.02.2020

Mehr als eine Bitte: ein Monolog, der zum Dialog wird

Betende Hände dienen als universelles Piktogramm für Religion: aneinandergelegte Handflächen, verschränkte Finger. Von griechischer Anbetung über buddhistische Meditation bis zu christlichem Gebet – das Händefalten ist eine der spontansten menschlichen Reaktionen. Eine Geste der Ehrfurcht, der Hoffnung, des Staunens, des Schocks.

Diese zutiefst menschlichen Regungen manifestieren sich in gefalteten Händen. Fast alle Menschen haben an einem Punkt ihres Lebens gebetet, manche meinten es ernster, andere weniger. Manche aus Hilflosigkeit, manche aus Dankbarkeit, manche aus Pflicht. Das Gebet als kollektive oder individuelle Zuwendung zu bzw. Anrufung einer Gottheit und die damit einhergehende Lobpreisung oder Bitte ist integraler Bestandteil fast jeder Religion. Der Mensch setzt sich im Gebet in Beziehung, ist nicht getrennt von der Gottheit, sondern spricht sie an, kommuniziert. Die Gefahr besteht allerdings, dass Beten als naiv, als kindliches Bitten interpretiert wird. Darum vielleicht hat Beten auch einen schlechten Ruf: Ein «Bitte, lieber Gott, schick mir Geld!» sei unreif. Die Krönung dieser Perversion des Gebets ist die evangelikale Auslegung des Prosperity Gospel – Glaube und Gebet führten zu materiellem Wohlstand, der wiederum ein Liebesbeweis Gottes sei.

Gebet ist mehr als Bitte – obwohl der Wortstamm zweifellos derselbe ist. Die Klagelieder und Vorwürfe der Psalmen sind genauso Gebet wie die Anweisung Jesu «Bittet, so wird euch gegeben». Gebet ist Gespräch – aber nicht zwingend von Anfang an. Beten will genauso gelernt sein wie alle anderen Künste. Zu Beginn ist Gebet Selbstgespräch, man redet mit sich selbst, in sich hinein. Vielleicht schimpft man, hofft, hat Angst. Vielleicht wird dieser Monolog zur Ansprache, an oder gegen jemanden. Und dann, vielleicht, kriegen wir eine Antwort. Der Monolog, das Selbstgespräch, wird zum Dialog, zum Hören einer Antwort, die uns irgendwie zufällt, von irgendwoher, vielleicht aus uns selbst, vielleicht von anderswo.

Sebastian Schafer