Friedenskundgebung in Budapest 2004. Foto: Keystone

Gemeinsam Lösungen finden, statt in Konflikten verharren

04.11.2022

Gespräch mit der Friedensrichterin Karin Gautschi

Friedensrichterin Karin Gautschi weiss, warum Menschen streiten und wie man sie versöhnt.

Aufgezeichnet von Tilmann Zuber

«Seit 2009 bin ich Friedensrichterin im Grossraum Zürich. Meine Aufgabe ist es, zwischen Konfliktparteien zu vermitteln, sie anzuhören, danach einzuschätzen, wo das Problem liegt, und Lösungen zu finden. Oft kommt es am Schluss zu einem sogenannten Vergleich, bei dem beide Parteien ein wenig nachgeben und von ihren Maximalforderungen abrücken. Wenn dann beide Kontrahenten nicht ganz glücklich damit sind, kann die Entscheidung nicht so falsch sein. Ob dabei um einen Franken oder um eine Million gestritten wird, um einen Baum oder einen Hund, spielt für mich keine Rolle.

Das Schlichtungsverfahren hat in der Schweiz eine lange Tradition und ist einzigartig. Andere Länder kennen das Amt des Friedensrichters nicht oder zumindest nicht in dieser Art. Unsere Erfolgsquote liegt bei 65 Prozent. Das zeigt, es lohnt sich, zusammenzusitzen, um eine gütliche Lösung zu finden. Meist geht es um Geld, um Löhne und unbezahlte Rechnungen, Darlehen, Unterhaltsklagen, schlecht ausgeführte Arbeiten oder Streitigkeiten zwischen Nachbarn.

Emotionale Streitereien

Nachbarschaftskonflikte können sehr emotional werden. Es ist oft schwierig, die Leute auf eine sachliche Ebene zu bringen, um herauszufinden, warum der Baum an der Grundstücksgrenze den einen extrem stört, während er dem anderen doch so am Herzen liegt. Da braucht es nicht selten kreative Lösungen, damit sich die Nachbarn nach dem Verfahren zumindest wieder «Grüezi» sagen können. Das gelingt mir relativ gut.

Aber natürlich gibt es auch Menschen, die verbittert sind, oft Streit haben, ihn regelrecht suchen; respektlose Menschen, denen das Schicksal der anderen egal ist; oder solche, die ihr eigenes Wohlbefinden immer voranstellen. Manchmal wird es in der Sitzung laut, es kommt zu Ausbrüchen und Tränen, dann machen wir eine Pause, bis alle sich wieder beruhigt haben.

Engagierte Friedensstifterin

Wir sind auch Anlaufstelle für Beratungen bei Verfahren, die nicht beim Friedensrichter stattfinden. Für Paare etwa, die wissen wollen, wie das Prozedere einer Trennung oder Scheidung abläuft. Dabei geht es aber nur um Verfahrensfragen. Die Entscheidung, ob sie sich schliesslich trennen, kann ich ihnen jedoch nicht abnehmen. Das Ziel ist es, darauf hinzuwirken, dass Paare sich fair trennen, so dass beide Partner und ihre Familien wieder eine Zukunft haben.

Selbst wenn ich persönlich eher auf Harmonie bedacht bin, finde ich es richtig, für seine Rechte einzustehen. Bei Streitigkeiten in der Nachbarschaft, in der Familie oder generell sollte man trotzdem immer erst das Gespräch suchen. Denn der Rechtsweg ist aufwendig, oft zermürbend und teuer.»
 

Erstpublikation in der «zVisite»