Regina Ammicht Quinn. wir-sind-kirche.at Judith Butler. commons.wikimedia.org
Genderforschung im Fokus
Wie bestimmt man das Geschlecht eines Menschen? Ist dies eine rein biologische Kategorie? Welche Rolle spielen Gesellschaft und Erziehung dabei? Solche Fragen stellt die Genderforschung. Eine Klärung der Begriffe.
Die Genderforschung kratzt an den bestehenden Normen, weil sie bisher Eindeutiges wie die Aufteilung der Geschlechter in männlich und weiblich in Frage stellt. Dies wiederum ruft nicht zuletzt christliche Kritiker auf den Plan, die um die Auflösung der Begriffe «Ehe und Familie» bangen. Sie werfen der Genderforschung vor, unwissenschaftlich zu sein und letztlich politische Motive zu haben.
Mit 1200 Unterschriften verlangten vier genderkritische Organisationen im Februar, der Genderforscherin Judith Butler solle die Ehrendoktorwürde der Universität Freiburg i.Ü. wieder aberkannt werden. Ihr Hauptargument, Butler behaupte «die Geschlechtsidentität habe mit der Natur nichts zu tun, sondern sei eine beliebig veränderbare soziale Konstruktion», argumentieren sie in ihrem Protestschreiben. Sie halten die Theorie Butlers für unwissenschaftlich, da «alle seriösen Erkenntnisse der modernen Hirnforschung, der Psychologie der Geschlechter, der Hormonforschung, jede empirische Erhebung über die Lebensgewohnheiten von Menschen und ganz einfach all das, wovon jeder Mensch im Umgang mit anderen und sich selbstverständlich ausgeht» die Theorie widerlege, dass Mann und Frau beliebige gesellschaftliche Konstruktionen seien.
Bei den vier Organisationen handelt es sich um «Bürger für Bürger», «Human Life International Schweiz», «Jugend und Familie» sowie «Zukunft CH». Die beiden letztgenannten Organisationen nehmen auf ihrer Homepage Bezug auf christliche Werte. Ähnlich wie diese Organisationen argumentierte schon Bischof Vitus Huonder in seinem «Wort zum Tag der Menschenrechte» vom 10. Dezember 2013.
Der Begriff «Gender» bezeichne das soziale Geschlecht, welches vom biologischen unabhängig sei und bedeute, «dass jeder Mensch sein Geschlecht und seine sexuelle Orientierung frei wählen könne, ob er Mann oder Frau sein wolle, ob er hetero, homo, bioder transsexuell leben wolle.»
Tatsächlich sei die Kategorie «Geschlecht» eine der wichtigsten Kategorien, nach denen wir Menschen uns orientieren, sagt Fabienne Amlinger, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Medienbeauftragte am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern (IZFG). «Wenn wir einem Menschen begegnen und dessen Geschlechtszugehörigkeit nicht eindeutig erkennen, so sind wir extrem verunsichert.» So hätten etwa Kinder in Studien äusserst irritiert reagiert auf Bilder von Menschen, die nicht eindeutig als Mann oder als Frau zu erkennen waren. Auch der Medienhype um Conchita Wurst, die sich als bärtige Frau zeigt, verdeutliche, wie heftig wir auf solche Uneindeutigkeit reagierten.
Judith Butler, die von einem philosophischen Standpunkt aus argumentiere, habe die These aufgestellt, dass Mannoder FrauSein eine «kulturelle Performanz» sei. Damit meine sie, dass wir unsere Geschlechterrolle immer wieder durch Sprechakte neu aufführten. Laut Dominik Lusser, Mediensprecher der Organisation Zukunft Schweiz, Mitinitiant des Protestbriefs, weist die Hirnforschung «schon bei Neugeborenen und somit vor jeder Möglichkeit sozialer Prägung Unterschiede in den Gehirnstrukturen und im Verhalten von Mädchen und Jungen nach», wie er in einem veröffentlichten Briefwechsel mit François Gauthier, Professor für Religionswissenschaften an der Universität Freiburg, schreibt. Er hält die Genderforschung deshalb für unwissenschaftlich. Amlinger verweist auf jüngere Studien der Hirnforschung, welche das Gegenteil aussagten, indem sie nachwiesen, dass das Hirn je nach äusseren Einflüssen formbar sei.
Der Begriff Genderismus, der in der Genderforschung selber nicht vorkommt, impliziert einen IdeologieVorwurf: Der Genderforschung wird vorgeworfen, dass sie handelnd statt bloss beschreibend sei, dass dahinter ein politischer Wille stehe: «Was der Mensch ist und was Familie ist, wird zur ausschliesslichen Frage der Politik und Macht umgedeutet», so Dominik Lusser von Zukunft Schweiz. Amlinger kennt diesen Vorwurf und nimmt ihn gelassen: Gender sei eine Wissenschaft, welche die Kategorie «Geschlecht» anschaut sowie Macht- und Dominanz-Ungleichheiten aufdeckt. Selbstverständlich könne dies politische Implikationen haben, was im Übrigen auch für andere Wissenschaften gelte.
Durch die Infragestellung der Eindeutigkeit des biologischen Geschlechts stellt die Genderforschung letztlich den christlichen Schöpfungsplan in Frage, demzufolge Gott die Menschen als Mann und Frau geschaffen hat. Entsprechend wirft Bischof Huonder der Genderforschung einen «Angriff auf Ehe und Familie als die tragenden Strukturen unserer Gesellschaft» vor.
Die Theologin Regina Ammicht Quinn fasst das Problem wie folgt in Worte: «Gender-Forschung in der Theologie ist keine Ideologie, sondern ein kritisches Instrument zur Aufdeckung von Ideologien.» Ammicht Quinn spricht sich unter anderem dafür aus, dass die Zweiteilung der Geschlechter zu kurz greift. Ein Lehrstuhl an einer theologischen Fakultät wurde ihr bis heute verweigert.
Sylvia Stam/kath.ch/Jürg Meienberg