Fürsorge. Foto: willma.. / photocase.de

Geschenkte Kraft

21.02.2018

Die Patientin sitzt kerzengerade am Bettrand. Kaum zu glauben, dass es dieselbe Frau ist, die ich vor ein paar Monaten zum ersten Mal getroffen habe.

Die Patientin sitzt kerzengerade am Bettrand. Kaum zu glauben, dass es dieselbe Frau ist, die ich vor ein paar Monaten zum ersten Mal getroffen habe. Sie kam mir damals wie eine Schnecke vor, die sich tief in ihr Haus zurückgezogen hatte.

Nur zögerlich erzählte sie aus ihrem Leben. Schluchzend und unter Tränen resümierte sie: «Zu auem häre itz no das. I weis nid, wohär d Kraft näh für witer z’mache». Seither fanden viele Therapien statt und mehrere Begegnungen unsererseits.
Nun steht ein vorläufiger Austritt bevor. Ich gratuliere der Frau und sage, dass sie durchaus stolz auf sich sein dürfe. Lächelnd nimmt sie meine Worte entgegen und verfällt sogleich mit gesenktem Haupt ins Grübeln.
«Ich weiss nicht», sagt sie leise, «woher ich die Kraft bekommen habe. Mir wurde eigentlich noch nie etwas geschenkt. Früher habe ich oft gebetet, um es dann irgendwann wieder aufzugeben.» Nach einer längeren Atempause schaut mich die Frau erwartungsvoll an und fragt: «Kommen sie mich weiterhin besuchen, wenn ich wieder eintrete?» «Ja», erwidere ich, «wenn Sie das wünschen.» «Sehr gerne sogar», sagt sie bestimmt.

Barbara Moser, reformierte Seelsorgerin


Die Kolumnen der Spitalseelsorge im Überblick