Blick in die «Bibel in gerechter Sprache» 2006. Buch Hosea, mit Auswahl der Gottes- bezeichnungen. Foto: jm

«Gott bin ich, nicht ein Mann» (Hos 11,9)

19.10.2016

Was steht eigentlich in der «Bibel in gerechter Sprache»? Und wieso ist sie für die Befreiungstheologie wichtig?

Eine Bibel in «gerechter Sprache» (BigS)? Der Titel löste beim Erscheinen der Erstauflage im Jahr 2006 bisweilen Überraschung aus.  

Gemeint war eine neue Bibelübersetzung, die in der Befreiungstheologie, der feministischen Theologie und im jüdisch-christlichen Dialog wurzelt. Die BigS legt deshalb besonderen Wert darauf, dass soziale Realitäten und die Rol­len von Frauen in den Bibeltexten sichtbar ge­macht sowie antijüdische Bibelinterpretationen vermieden werden. Eine geschlechtergerechte Sprache ist dabei selbstverständlich, aber nur Teil eines grösseren Gesamtkonzeptes. Die Bibel(übersetzung) soll so nicht zum «Muse-umsobjekt» werden, sondern «neu zu sprechen beginnen», heisst es im Vorwort der BigS (die auch online zugänglich ist: und zwar hier).

Das wohl kreativste Element der BigS ist die Wiedergabe des Gottesnamens. Im hebräi­schen Urtext der Bibel steht als «Eigenname» Gottes das sogenannte Tetragramm, die «Vier Buchstaben», in deutscher Umschrift: JHWH. Das Tetragramm wird im Judentum aus Respekt vor Gott nicht ausgesprochen, sondern mit «Herr» wiedergegeben, wie es auch in einigen deutschen Übersetzungen geschieht. Die BigS setzt überall dort, wo im Hebräischen das Tet­ragramm oder im Griechischen die Überset­zung «kyrios» (Herr) steht, einen optisch hervor­gehobenen, wechselnden Gottesnamen wie z.B. «ERSIE», «die Ewige», «der Heilige», «der Name», «die Eine» und noch manche mehr. Die­se auffällige Schreibweise ruft nachdrücklich in Erinnerung, dass sich Gott – lebendig, schöpfe­risch, beziehungshaft – in keiner Weise auf ein einzelnes Gottesbild, einen einzigen Namen oder gar ein Geschlecht festlegen lässt. Schon beim Propheten Hosea heisst es: «Gott bin ich, nicht ein Mann» (Hos 11,9).

Für sehr viele Frauen ist die BigS, die aus Bibel­arbeiten an Kirchentagen in Deutschland her­vorgegangen ist, zu derjenigen Bibel gewor­den, in der sie sich und ihre Lebenswelten bes­ser wiederfinden als in anderen Übersetzungen. Die Anliegen der BigS sind jedoch – in weit ge­ringerem Rahmen – auch in andere Bibelüber­setzungen eingeflossen. So wurde z.B. die 2007 veröffentlichte Neue Zürcher Bibel von einer fe­ministischen Lesegruppe begleitet. Diese Lese­gruppe hat ihre Übersetzungsvorschläge in ge­schlechtergerechter Sprache schliesslich sepa­rat veröffentlich, da sie nur selten in die offizielle Übersetzung aufgenommen wurden. Der Weg zu einer «Kirche mit den Frauen» ist immer noch weit. Immerhin: In der revidierten katholischen Einheitsübersetzung, die kürzlich offiziell vorgestellt worden ist, schreibt Paulus seine Briefe neu an «Brüder und Schwestern», und auch die berühmte Apostelin Junia aus Röm 16,7 hat ihre Identität als Frau wiedererhal­ten. Bisher war von einem männlichen Apostel mit dem fiktiven Namen Junias die Rede.  

Detlef Hecking, Bibelpastorale Arbeitsstelle SKB


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