«Geflüchtete machen mir bewusst, wie wertvoll das Leben ist». Béatrice Panaro. Foto: Ruben Sprich
«Gott ist da, wo Menschen verletzlich sind»
Béatrice Panaro wird pensioniert.
Béatrice Panaro arbeitet seit zwölf Jahren im Asylbereich der Berner Fachstelle für Sozialarbeit und hat dort viel erlebt und bewirkt. Ende Dezember wird sie pensioniert – ein Interview über Weihnachten, Berufung und das Leben von Geflüchteten mit Gott.
Interview: Anouk Hiedl
«pfarrblatt»: Wie erleben Geflüchtete Weihnachten hier?
Béatrice Panaro: Nicht alle Christ:innen feiern Weihnachten am 25. Dezember. Menschen aus Ostafrika und Osteuropa zum Beispiel orientieren sich am julianischen Kalender und feiern die Jesu Geburt dreizehn Tage später, am 6. und 7. Januar. Und jene, die an Weihnachten arbeiten müssen, können nicht feiern und ihre Landsleute einladen, die in Asyl- oder Rückkehrzentren sind. Oft sind diese Menschen einsam und haben Sehnsucht nach ihrer Familie in der Heimat. Jene, die Heiligabend in der Kirche und anschliessend mit Kolleg:innen feiern können, sind dankbar. Um einen kleinen Weihnachtsbaum herum tauschen sie Geschenke aus, zum Beispiel eine festlich verpackte Tafel Schokolade.
Was bedeutet Weihnachten für Sie?
Wir feiern Gott, der auf die Erde herunterkommt und aus Liebe zu uns Mensch wird. Dieses Fest erzählt mir auch von einem Gott, der nicht allein wirken will. Vor über 2000 Jahren hat er deshalb Maria um ihre Hilfe gebeten. Gott will auch in uns Aufnahme finden – um in uns zu leben und zu wirken. Durch uns will Er die Menschen auf menschliche Weise betrachten, ihnen zuhören, in ihrer Sprache zu ihnen sprechen und sie Seine Wärme im Herzen spüren lassen.
Ihre Eltern waren Migranten. Inwiefern hat dies Ihre Berufswahl und Ihre Arbeit beeinflusst?
Die Migration unserer Familie forderte mich heraus und konfrontierte mich mit der Suche nach meiner Identität. Bei einem Jugendtreffen in Frankreich habe ich entdeckt, dass ich nicht wichtig bin für den Beruf, den ich ausübe, oder für das, was ich habe. Gott liebt jeden Menschen. Er hat einen Liebesplan mit jedem und zählt auf uns, um ihn zu verwirklichen. Bei einem Jugendtreffen der Scalabrini-Gemeinschaft in Stuttgart fand ich heraus, dass sich im harten Boden der Migration ein Schatz verbirgt – Jesus. Für ihn habe ich Familie, Freunde und Beruf verlassen, Ihm folge ich seither als Weggefährtin von migrierten und geflüchteten Menschen aus allen Ländern und Religionen. Als Scalabrini-Missionarin folge ich dem Gedanken von Bischof Scalabrini, der in den Tragödien und Chancen der Migration die Geburtswehen eines neuen Miteinanders unter den Menschen erkannt hat. In der Nachfolge Jesu setzen wir uns in den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft ein, damit ein Mit- und Füreinander unter Menschen verschiedener Herkunft wachsen kann.
Wie religiös sind die Geflüchteten, mit denen Sie zu tun haben?
Muslim:innen, Hindus und Christ:innen, die ihre ihrer gefährliche Flucht überlebt haben, danken Gott, weil Er mit ihnen unterwegs ist. Sie leiden nach einem Wegweisungsentscheid unter grossem Stress, aber Gott hält sie am Leben. Durch sie wird mir bewusst, wie wertvoll das Leben ist.
Ist ihr Glaube eine Ressource im Umgang mit dem Erlebten?
«Selbstverständlich» würden zum Beispiel Henok, Thomas, Hiwot und Yodit sagen, die seit zehn Jahren in der Schweiz sind. Lange waren sie ohne Zukunftsaussichten und von der Nothilfe abhängig. Jeden Morgen danken sie Gott für ihr Leben. Er ist immer bei ihnen, sie leben nicht ohne Ihn. Durch die Herzen anderer Menschen spricht Gott zu ihnen, durch sie öffnet er ihnen Türen.
Nun werden Sie pensioniert. Was wird Ihnen fehlen? Worauf freuen Sie sich?
Ich werde die Begegnungen mit vielen Menschen vermissen, mit denen ich in Bern unterwegs bin. In all den Jahren haben wir uns gemeinsam für eine Verbesserung der Lebenssituation von abgewiesenen Asylsuchenden eingesetzt. Ich merke schon jetzt, dass all diese Begegnungen in mir weiterleben. Ich werde mich weiterhin als Scalabrini-Missionarin für Einheimische, migrierte und geflüchtete Menschen engagieren, in Solothurn und ab und zu in Agrigent. Weihnachten schenkt uns die Gewissheit, dass Gott da ist, wo Menschen verletzlich sind und auch da, wo sie sich mit ihrem Leben für die Verwirklichung ihrer Träume einsetzen. Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest!