Lichter anzünden gegen die Dunkelheit in den Herzen, das möchte Pfarrer Nicolas Betticher. Foto: Pia Neuenschwander
«Gott zwingt uns keinen Frieden auf»
Nicolas Betticher über Weihnachten in Zeiten des Krieges
Zusammenstehen und handeln, das hält Nicolas Betticher für dringend nötig. Wie sonst könnte man in Zeiten des Krieges Weihnachten feiern? Am Mittwoch lud der Pfarrer der Pfarrei Bruder Klaus Bern zusammen mit Frank Luhm, Pfarrer der reformierten Kirchgemeinde Petrus, zu einer Friedensaktion.
Interview: Sylvia Stam
«pfarrblatt»: Warum organisieren Sie gerade jetzt ein Friedensgebet, drei Tage vor Weihnachten?
Nicolas Betticher: Heute ist die längste Nacht im Jahr. Die Dunkelheit ist nicht nur draussen, sondern auch in den Herzen. Bei uns im Pfarrhaus wohnt eine ukrainische Familie. Ich sehe in den Augen der Kinder viel Dunkelheit. Darum dachte ich, wir müssten irgendwo Lichter anzünden. Wir wollten das bescheiden auf dem Gebiet der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Petrus und der Pfarrei Bruder Klaus machen.
Warum gerade hier auf dem Thunplatz?
Der Thunplatz ist ein neutraler Ort, er liegt genau in der geografischen Mitte zwischen der russischen und der ukrainischen Botschaft.
Haben Sie die beiden Botschafter:innen eingeladen?
Ja, wir haben beiden Botschaften den gleichen Brief geschrieben. Von der russischen Botschaft habe ich nicht wirklich eine Antwort erwartet. Aber ich bin ein wenig erstaunt, dass wir auch von der ukrainischen Botschaft keine Antwort bekommen haben. Ich vermute, es hat damit zu tun, dass die neue Botschafterin noch nicht da ist.
Hatten Sie bereits früher Kontakt mit der ukrainischen Botschaft?
An Karfreitag hatte ich den bisherigen Botschafter der Ukraine beim Hochamt zum Tod Christi eingeladen, eine Ansprache zu halten. Er hat das wunderbar gemacht. Darum glaube ich, dass er heute sicher hier wäre.
Sie haben in der Andacht die Rolle der Schweiz angesprochen. Sollte sie Ihrer Meinung nach mehr Druck aufbauen?
Die Schweiz müsste mehr Druck auf ihre Nachbarstaaten und auf die Uno ausüben, damit Putin spürt, dass er immer isolierter ist. Es geht nicht um Waffen und um Munition, es geht um ein geopolitisches Problem. Putin muss sich endlich an den Verhandlungstisch setzen und mit dem Krieg aufhören. Gleichzeitig darf er sein Gesicht nicht verlieren, das ist eine Gratwanderung. Die Schweiz ist jetzt Mitglied im Uno-Sicherheitsrat. Sie könnte das Anliegen dort deponieren und hinter den Kulissen agieren, damit die europäischen Staaten sich noch mehr zusammentun. Das wäre eine proaktive Neutralität, wie Bundesrat Ignazio Cassis es nannte.
Sie haben zusammen mit rund 40 Menschen für den Frieden gebetet. Kann man Frieden herbeibeten?
Vor 500 Jahren ging es in der Eidgenossenschaft um die Frage, ob Solothurn und Freiburg in den Bund aufgenommen werden sollten. Bruder Klaus liess über den Pfarrer von Stans am Stanser Verkommnis eine geheimnisvolle Botschaft ausrichten: «Der Friede kommt von Gott, denn Gott ist der Friede.»
Wenn Gott selber die Quelle des Friedens ist, dürfen wir ihn bitten, uns die Kraft zu geben, dass wir erkennen, wo wir Frieden schaffen können. Die Akteure bleiben wir. Gott greift nicht ein, er zwingt keinen Frieden auf. Er lässt uns frei, selber zu entscheiden. Also können wir beten, dass er uns den Geist gibt, dass wir alle zusammen aufstehen und handeln. Dass wir nicht nur zu Hause Weihnachten feiern, sondern vielmehr zusammenstehen wie heute Abend, und zwar zehntausend und nicht nur vierzig. Natürlich sind das sehr pauschale Aussagen, die ich hier mache, aber wenn solche Aussagen öffentlich werden, sind sie wie Tropfen im Meer. Mutter Teresa sagte: «Das Meer besteht aus lauter Tröpfchen.»