Gerd Hotz am letztjährigen queeren Gottesdienst. Die Resonanz sei überwältigend gewesen – «ohne Angst haben zu müssen, abgelehnt zu werden». Foto: zVg

«Grosses Bedürfnis nach Spiritualität»

Zweiter queer-ökumenischer Gottesdienstes am 28. April in der Heiliggeistkirche

Eigene Gottesbilder entwerfen – nach Spuren der Befreiung suchen: Dies ist das Motiv des zweiten queer-ökumenischen Gottesdienstes vom 28. April in der Heiliggeistkirche Bern. Auch Katholik:innen sind mit von der Partie.

von Marcel Friedli-Schwarz

Da steht er, Gerd Hotz. Hier, in der Heiliggeistkirche in Bern. In diesem Gottesdienst für queere Menschen. Der gut Sechzigjährige steht für viele schwule, lesbische, bisexuelle, trans Menschen – die als Mitglieder der katholischen Kirche nicht akzeptiert sind. Und für all jene, die doch für sie arbeiten: An einigen Orten wird ihre Lebens- und Liebesform oder ihre Identifizierung toleriert oder begrüsst. Anderswo nur, wenn sie dies geheim halten.

Gerd Hotz hat Glück: Seit zwanzig Jahren ist er mit einem Mann verheiratet – und arbeitet doch für die katholische Kirche: mal bei der Caritas, mal noch näher in der Kirche. Mehr als fünf Jahre als Gemeindeleiter in Pratteln. Und seit knapp zwei Jahren ist er für die Pfarrei St. Michael in Wabern im Einsatz: Er leitet das ökumenische Zentrum oeki in Kehrsatz.

«Wir tun uns mit dem Thema Homosexualität und Kirche viel zu schwer», sagt er ins Mikrofon, vor 200 Menschen. Queere Menschen gestalten diesen Gottesdienst.

Der Altar ist in den Farben des Regenbogens geschmückt. Von der Orgel hängen farbige dünne Papierschlangen lässig in den Raum und bilden einen Kontrast zu den beiden tragenden Säulen. «Ich wünsche, dass wir in allen Kirchen und Religionen offen mit allen Formen von Sexualität und Identität umgehen. Denn Gott hat alle Menschen gern – unabhängig davon, wie und wen sie lieben.»

Berührend und befreiend

Das sagte Gerd Hotz vor einem Jahr: an der Premiere des Gottesdienstes für queere Menschen. «Für mich war die Resonanz überwältigend», erinnert sich Gerd Hotz. «Und berührend sowie befreiend: Unabhängig von der Kirche, zu der wir gehören, haben wir unsere Statements abgegeben – ohne Angst haben zu müssen, abgelehnt zu werden.» Weil das Echo so erfreulich war, kommt es am 28. April zu einer Reprise. Diesmal zur Vielfalt von Gottesbildern. «Wir haben uns fürs Thema Gottesbilder entschieden. In einem Gottesdienst kann ein Ansatz von Heilung entstehen, im Sinne von: aufgehoben sein in der Gemeinschaft anderer und suchend zu einer neuen Spiritualität unterwegs sein», sagt Gerd Hotz.

«Ein Gottesdienst in diesem Setting darf unserer Ansicht nach jedoch nicht für die Rehabilitierung von Opfern missbraucht werden. Und kann die fehlende, noch ausstehende Entschuldigung nicht ersetzen.»

Willkommen und angenommen

Verletzungen, wie sie auch Gerd Hotz erlebt hat. So erinnert er sich an die Reaktion des Priesters, als er ihm vor vier Jahrzehnten beichtete, dass er mit einem Mann intim gewesen sei. «Tststs», sagte der Priester, «das darf aber nicht wieder vorkommen.»


Diese Reaktion, sagt Gerd Hotz heute, habe ihm zusätzlich das Gefühl gegeben, nicht richtig zu sein, wie er ist. «Später benötigte ich therapeutische Begleitung, um damit umzugehen, dass katholisch und schwul und bei der Kirche angestellt sich oft beissen – und für viele bedeutet, ein Doppelleben zu führen. Obwohl es heisst, Gott liebe alle Menschen, wie sie sind.»

Die Begleitung half Gerd Hotz, sich mit Mitte zwanzig zu outen und Verletzungen heilen zu lassen. Sie gab ihm den Mut, zu sich und seiner Art zu leben und zu lieben, zu stehen – auch im beruflichen, meist katholischen Umfeld. Sowohl in der Kirchgemeinde als auch im Pastoralraum und bei der Regenbogenpastoral des Bistums hat er die nötige Rückendeckung. «Auch dieser Anlass ist breit abgestützt», sagt Gerd Hotz, «das Vertrauen ist da. Das tut gut.»

Gerd Hotz freut sich für all die queeren Menschen, die in diesem Rahmen Ende April in der Kirche ausdrücklich willkommen geheissen werden. «Denn viele queere Menschen haben ein grosses Bedürfnis, Spiritualität zu erleben und zu leben.»

 

Queer und ökumenisch

Angeschoben hat den queer-ökumenischen Gottesdienst «hab queer bern». Präsident Christoph Janser vertritt die christkatholische Kirchgemeinde Bern. Kurt Hofmann ist als Mitglied des queeren Berner Vereins Teil des Organisationsteams. Die beiden konnten auch die Reformierten für diesen aussergewöhnlichen Anlass gewinnen: Pfarrerin Franziska Willhelm von der Kirchgemeinde Matthäus Bern und Bremgarten; ebenso Mathias Tanner von Bern-Jura-Solothurn. Gerd Hotz vertritt die Berner Katholik:innen. Die Freikirchen sind indirekt repräsentiert: über «Zwischenraum». Dieser Verein fungiert auch als Auffangnetz für Mitglieder aus Freikirchen, die zum Beispiel im Berner Oberland relativ stark vertreten sind.

Alle Teilnehmenden des Gottesdienstes in der Heiliggeistkirche Bern werden ermutigt, lebensfeindliche Gottesbilder zu überwinden und neue, eigene Bilder zu entwerfen: bunte, lebendige, abstrakte; mit und ohne Rahmen. Die Illustratorin Anna-Lena Spring lässt sich von den Worten und der Musik inspirieren und malt entsprechende Bilder. Der Gottesdienst am 28. April beginnt um 10.30. Am 10. November findet ein weiterer solcher Anlass in der Heiliggeistkirche in Bern statt.
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