Adelheid Duvenal gehört bis heute zu den wichtigsten literarischen Stimmen der Schweiz. / Bild: Limmat Verlag

«Hältst Du meine Briefe aus?»

1981 bis 1996 gingen zwischen Basel und Bern Briefe hin und her – Zeugnisse einer überlebenswichtigen Frauenfreundschaft.


Beatrice Eichmann-Leutenegger

«Für heute will ich nichts anderes als Dir danken. Dass Du mich so nimmst, wie ich eben bin, macht mich glücklich. Ich weiss, dass ich schwierig bin – deshalb habe ich so wenige Kontakte.» Dies schreibt die Basler Schriftstellerin Adelheid Duvanel (1936–1996) am 18. April 1988 an ihre Berner Kollegin Maja Beutler (1936–2021). 

Fünf Jahre zuvor überlegt sie in einem Brief an ihren Lektor im Luchterhand-Verlag, Klaus Siblewski (*1950): «Wenn wir einmal tot sind und unsere Kinder nichts dagegen haben, könnte man ja diesen Briefwechsel zweier Frauen, die gleich alt waren, aber in einem ganz anderen Milieu lebten, ein ganz anderes Schicksal hatten, herausbringen.»

Schreiben, um zu überleben

Was Adelheid Duvanel erwog, ist nun geschehen: Der Umfang von beinahe 900 Seiten zeigt, dass Adelheid Duvanel eine obsessive Briefschreiberin gewesen ist. Allerdings wäre das Buch noch weitaus umfangreicher geworden, wenn bei einem Umzug nicht die Briefe von Maja Beutler an ihre Freundin verloren gegangen wären. Doch lassen sich die Reaktionen der Berner Autorin aus den Folgebriefen Adelheid Duvanels erahnen.

Maja Beutler hat ein unglaubliches Mass an Einfühlung, Verständnis, Geduld und konkreter Hilfe aufgebracht – angesichts von Adelheid Duvanels Lebensumständen, die sich fortwährend verschlimmerten. Zuletzt wusste diese keinen Ausweg mehr und flüchtete sich in einer kalten Julinacht 1996 mit Tabletten und Alkohol in den Wald, wo Kinder sie tags darauf erfroren auffanden. 

Maja Beutler gestand später, dass sie sich als Korrespondenzpartnerin oft unfrei gefühlt habe. Trotzdem hielt sie durch, weil sie wusste, dass ihre Briefe für die Adressatin überlebenswichtig waren. Diese hungerte geradezu nach den Briefen aus Bern, fürchtete aber stets, die Freundin mit ihren Nachrichten zu deprimieren und sie deswegen zu verlieren.
 


Behütete Kindheit 

Warum wuchs sich das Leben Adelheid Duvanels zu einem Gang durch die Hölle aus? Die Anfänge ihrer Biografie zeigten in andere Richtungen. Eine behütete Kindheit im Haus des streng katholischen Liestaler Strafgerichtspräsidenten Georg Feigenwinter-Lichtenhahn, drei jüngere Geschwister, denen die älteste Tochter Geschichten erzählte und Theaterspiele vorführte, sodass Adelheid als «Wunderkind» galt. 

Mit zehn Jahren schrieb sie, die gleichzeitig eine begabte Zeichnerin und Malerin war, den 36-seitigen bebilderten Kinderroman «Seppli». Eine Zäsur ereignete sich in den Pubertätsjahren. Rückzug ins Schweigen, abgebrochene Lehren, psychiatrische Behandlungen mit Insulintherapien und Elektroschocks markierten den Weg, der die junge freiheitsdurstige Frau aus dem Elternhaus führte. 

Sie heiratete 1962 den Maler Joe Duvanel (1941–1986), eine bekannte Figur in der Basler Bohème. Doch er richtete ein neues Gefängnis ein, indem er ihr das Malen untersagte und hundert Bilder vernichtete – wohl aus Konkurrenzangst. Die Ehe, aus der 1964 die Tochter Adelheid Cécile hervorging, wurde 1982 geschieden; die Verbindung blieb aber in heilloser Verstrickung bis zum Selbstmord des Gatten 1986 bestehen.

Spirale des Unglücks 

Diese Tochter, mit 14 Jahren heroinsüchtig, warf einen grossen Schatten. Sie und die Mutter lebten in einer winzigen Basler Einzimmerwohnung und stets in finanziellen Nöten, weil der Drogenkonsum der Tochter alles Geld verschlang. 

1985 kommt die Enkelin Blanca Adela zur Welt; Ende desselben Jahres wird bei der Tochter Aids diagnostiziert. Vor dem Arztbesuch hat Adelheid Duvanel «gebetet wie noch nie». Der Verlauf der zerstörerischen Krankheit bildet sich auf erschreckende Weise in den Briefen ab. Immer wieder schreibt Adelheid Duvanel: «Ich kann nicht mehr …» Während Jahren pendelt sie zwischen den Aufenthalten in der Psychiatrischen Universitätsklinik PUK und der Einzimmerwohnung hin und her, zerrissen von den Anforderungen, die an sie als Mutter und Grossmutter gestellt werden. 

Eltern und Geschwister helfen immer wieder, aber das Leben bewegt sich weiterhin am Rand des Abgrunds. Die Enkelin Blanca Adela, an der Adelheid Duvanel zärtlich hängt und deren fantasievolle Aussprüche in den Briefen auftauchen, kommt in eine Pflegefamilie. Die Tochter, ein Schatten ihrer selbst, wird nur noch wenige Monate leben, wie die Mutter glaubt. Tatsächlich aber überlebt Adelheid Cécile ihre Mutter um neun Jahre. 
 


Bedeutende Stimme der literarischen Schweiz

Dies ist die Leidensgeschichte einer Autorin, die heute zu den bedeutendsten Stimmen der literarischen Schweiz zählt. Sie ist nicht mit Romanen hervorgetreten, sondern mit jener Gattung, die als wenig verkaufsträchtig gilt: mit kurzen Erzählungen, kaum mehr als zwei Druckseiten lang. Der Griff zu dieser Kunstform mag durch die leidvollen Umstände befördert worden sein, denn wie hätte Adelheid Duvanel Zeit und Raum für den grossen Atem finden können, den das Schreiben eines Romans abverlangt? 

In diesen Miniaturen leben Gestalten von ausgesprochener Fragilität, mit bedrohtem Selbstwertgefühl behaftet, einsamkeitsliebend und gleichwohl nach Nähe dürstend, nach Verständnis und Geborgenheit. Dabei äussern sie eine Art von verschmitztem Humor, von Selbstironie, sind aber lebensuntüchtig, mehr den Träumen als der Realität zugeneigt. 

Trotz der Trauer, die sich zwischen den Zeilen offenbart, aber nie aufdringlich den Lesenden zusetzt, ist Schmunzeln angesagt, wenn etwa eine Frau «mit rechtschaffenem Haarschnitt» eingeführt wird. Mit wenigen Strichen zeichnet die Autorin ein Porträt, das man sofort vor sich sieht. Adelheid Duvanel, eine scharfe Beobachterin, hegte ein zärtliches Verhältnis zu ihren Figuren. 

Wenn auch die Frage «Schreiben als Therapie?» kontrovers beantwortet wird, so hat doch das Schreiben Adelheid Duvanels Dasein entscheidend getragen. Als eine moderne Scheherazade schrieb sie um ihr Leben. Die missliche Situation des Luchterhand-Verlags in den neunziger Jahren verstärkte daher ihre Angst. 

Und als die Ärzte eine «Gehirnfunktionsstörung» mit Gedächtnisausfall feststellten, fürchtete sie ein Ende ihres literarischen Schaffens. Was bei dieser Frau in hohem Mass erstaunt: dass sie trotz extremer Widrigkeiten beharrlich weiterschrieb und eine Fülle von eminent literarischen Texten vorlegte. Selten war sie zwar mit sich zufrieden, blieb immer kritisch gegenüber ihrem Schreiben. 

An diesem Punkt zeigt sich auch die Gemeinsamkeit der beiden Briefschreiberinnen: In den Höhen und Tiefen des eigenen Schaffens fanden sie sich, sprachen sich gegenseitig Mut zu, stärkten und ermunterten einander.

So gestalten sich die Briefe zur Biografie zweier Autorinnen, die gar nicht so ungleich waren, denn auch Maja Beutler blieb von Krisen nicht verschont. Adelheid Duvanels Briefe bilden zudem den realen Untergrund ihrer Erzählungen, den sie allerdings dichterisch transformiert hat. Doch lassen sich zahlreiche Übereinstimmungen – bis zum wörtlichen Gleichklang – mit den autobiografischen Schreckmomenten in ihren Briefen feststellen. Man liest sie mit stockendem Atem und wird danach Duvanels Werk noch höher schätzen als zuvor.
 

Buchtipp 

Adelheid Duvanel, Nah bei Dir. Briefe 1978–1996. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Angelica Baum. Limmat Verlag: Zürich 2024. Sämtliche Erzählungen finden sich im Band «Fern von hier», hrsg. von Elsbeth Dangel-Pelloquin, a.a.O. 2021, ferner in div. Einzelausgaben.