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Hat Papst Franziskus die Kontrolle verloren? (3)
Teil 3 der Serie «Der Aussenblick»: Die Kirche am Rande des Schismas
Aus den Regionen, wo die Reformation im 16. Jahrhundert ihren Ursprung nahm, kommt neues Ungemach. Der «Synodale Wegs» fordert Rom heraus und bringt die Kirche an den Rand des Schismas.
Das Newsportal POLITICO hat eine umfassende Recherche über das Hadern liberaler Katholik:innen in Deutschland und der Schweiz mit Papst Franziskus veröffentlicht. (englischsprachiger Originaltext) Der Aussenblick ist spannend, denn er ist aus der Perspektive des eher konservativen amerikanischen Katholizismus verfasst.
Eine zentrale These für den deutsch-schweizerischen Liberalismus: Die hiesige katholische Mentalität ist durch einen kulturellen Protestantismus geprägt. Auch Bischof Felix Gmür kommt zu Wort.Das «pfarrblatt» veröffentlicht den Text in drei Teilen in deutscher Übersetzung:
Teil 1: Ein liberales Schisma made in Germany?
Teil 2: Die liberale Revolution erreicht Solothurn
Teil 3: Die Geister, die er rief, sind Kulturprotestanten
Teil 3 der Serie «Der Aussenblick»: Die Geister, die er rief, sind Kulturprotestanten
Ben Munster, POLITICO
(Übersetzung: Annalena Müller)
Ein vatikanischer Beamter war bereit, anonym über den Papst zu sprechen. Seinen Kritikern gegenüber gilt Franziskus als rachsüchtig. Zu dem Chaos um Fiducia supplicans sagt er: «Lesen Sie das Dokument. Darin heisst es, man kann offensichtlich eine homosexuelle Beziehung nicht segnen, denn aus katholischer Sicht ist sie sündig. Also erfinden wir eine neue Form der Segnung. Er sieht fast wie ein Segen aus, und wenn man seitwärts läuft und es in weniger als zehn Sekunden macht, und es völlig spontan bleibt...»
Ein sturer Papst
Das Hauptproblem, fügt der Beamte hinzu, sei, dass Franziskus alles nach seinem Gutdünken machen wolle, oft auf Kosten der lehramtlichen Übereinstimmung. «Der grösste Teil seiner Energie geht dafür drauf, zu verbergen, was er denkt, wer er ist und was er tun wird. Und dies auf fast neurotische Weise», klagt der Beamte. «Er hält das, was er tun will, so lange wie möglich geheim, um in seinem Tun völlig unerwartet zu sein.»
Zur Veranschaulichung erzählt der Beamte von einem Kommentar, den Franziskus gemacht habe, als er noch Erzbischof von Buenos Aires war. Zu einem ausländischen Besucher soll er gesagt haben: «Mit den Argentiniern muss man vorsichtig sein, was sie sagen, was sie tun und was sie denken, sind völlig unterschiedliche Dinge». Er könnte auch von sich selbst gesprochen haben.
Es entspannt die Situation nicht, dass der Papst wahrscheinlich nicht mehr lange auf dieser Welt ist. Mit 87 Jahren und nur einem intakten Lungenflügel fällt ihm das Atmen schwer. Er leidet unter Lungenentzündungen und muss regelmässig ins Krankenhaus. Schon ein einzelner Hustenanfall in der Öffentlichkeit sorgt für makabre Schlagzeilen.
Auch hat er es weitgehend versäumt, progressive Kleriker in das Kardinalskollegium zu berufen, um eine liberale Nachfolge zu garantieren. Entsprechend fragen sich reformorientierte Katholik:innen, ob Franziskus überhaupt ein fortschrittliches Erbe hinterlassen wird.
Gefangen zwischen links und rechts
Franziskus ist gefangen zwischen einem liberalen Europa und einem überwiegend konservativen globalen Süden. Als Papst ist er vor allem damit beschäftigt, Abtrünnige und Rebellen auf allen Seiten zu zügeln oder zu beschwichtigen. Für seine rechte Flanke bedeutet das, er hält Reformen zurück. Für seine linke Flanke bedeutet es, dass er Versprechen macht, die er wahrscheinlich nicht halten kann.
Ein Paradebeispiel für diesen Drahtseilakt ist die viel gepriesenen Weltsynode, die «Synode zur Synodalität». Das Projekt begann 2021 und erreichte im vergangenen Jahr seinen Höhepunkt in der ersten von zwei einmonatigen Versammlungen in Rom, bei denen rund 450 Delegierte (einschliesslich Laien und Frauen) bedeutende Themen aus verschiedenen kulturellen Blickwinkeln diskutierten. Diese grosse internationale Übung im kulturellen Brückenbau wird diesen Oktober enden. Wie bei früheren Synoden können die Ergebnisse in das Kirchenrecht einfliessen, falls der Papst dies beschliesst.
Allein das Wort ist ein Problem
Felix Gmür, der belagerte Bischof von Basel, ist einer der Synodalen in Rom. Er erinnert sich an eine Diskussion im letzten Oktober, als afrikanische Bischöfe um Erlaubnis für Polygamie baten. Auch fragten sie, ob ein Mann alle seine Frauen verlassen müsse, um zu konvertieren. Auf der anderen Seite forderten einige europäische Teilnehmer die kanonische Anerkennung von LGBTQ+-Personen.
«Wir kamen zum Schluss, dass Polygamie keine Idee der Bibel ist», sagt Felix Gmür. «Und schon gar nicht im Neuen Testament.» Bei der LGBTQ+-Frage sei «sogar die Begrifflichkeit ein Problem», fügt er hinzu. «Deshalb sprechen wir im Abschlussdokument von Personen ‹mit unterschiedlicher persönlicher sexueller Identität und Orientierung›.»
Die derzeitige Synode hat von Anfang an Ängste bei Konservativen ausgelöst. Sie sahen in dem Prozess ein trojanisches Pferd für eine woke Agenda. Diesen Eindruck haben die Synodenleiter zum Teil selbst provoziert, haben sie die Synode doch als die letzte grosse Hoffnung für die Einführung einer echten Strukturreform dargestellt: «Wenn wir diese Erfahrung nicht machen, werden wir unsere Mission nicht erfüllen können», sagte Kardinal Mario Grech, der Generalsekretär der Synode, gegenüber POLITICO in seinem Büro im Vatikan. «Und dann wird die Zukunft düster sein.»
Umstrittene Themen auf Eis gelegt
Allgemein dominiert jedoch die Ansicht, dass sich nach der Synode wenig ändern wird. Ungeachtet der Äusserungen von Kardinal Grech hat der Papst die besonders heiklen Themen auf vom Vatikan kontrollierte «Arbeitsgruppen» verschoben. Dazu gehört etwa die Frage des Frauenpriestertums und des Einflusses von Lai:innen auf Bischofsernennung.
Natürlich könnte dieser Schritt bedeuten, dass Franziskus den chaotischen Ansatz von Fiducia supplicans wiederholen und grosse Veränderungen zu einem noch unbekannten Zeitpunkt auf eigene Faust durchsetzen will. Wahrscheinlicher aber ist, dass der Papst die Themen einfach auf Eis gelegt hat. Darauf deutet ein Interview in der Sendung «60 Minutes» hin. Dort wurde er gefragt, ob kleine Mädchen jemals davon träumen könnten, Diakoninnen zu werden. Die Antwort des Pontifex war ein entschiedenes «Nein».
Kardinal Hollerich, Berichterstatter der Synode, räumt ein, dass das Ziel der Weltsynode ehrgeizig sei, nämlich eine Kultur der Inklusion und des Dialogs zu schaffen, die vielleicht irgendwann zu einer Reform der Lehre führen könnte.
Der Sprecher des Heiligen Stuhls, Matteo Bruni, sagte, das Hauptziel der Synode sei es, eine «stärkere Beteiligung des Volkes Gottes» in pastoralen und administrativen Angelegenheiten der Kirche zu fördern und nannte Erfolge der Ostkirchen als Beispiel. Er betonte jedoch, dass sie sich nicht mit grossen Fragen befassen werde – die Synode zur Synodalität werde, wie ihr Name sagt, völlig selbstbezogen sein.
Kirchenrebellen bleiben trotzig
Dies alles verheisst nichts Gutes für den Synodalen Weg, dessen Möglichkeiten mittlerweile stark eingeschränkt sind. Als die deutschen Bischöfe im Februar in Augsburg zusammenkamen, um die Beschlüsse des Synodalen Weges offiziell zu genehmigen, erreichte sie ein vernichtender Brief aus Rom. Als eine kleine Delegation daraufhin nach Rom reiste, um die Angelegenheit zu klären, mussten sich die Bischöfe schliesslich in einem demütigenden Rückzieher bereiterklären, ihre Reformvorhaben nur innerhalb der Grenzen des Kirchenrechts weiterzuverfolgen. Jede neue Entwicklung wollen sie nun mit Rom abstimmen – so wie es auch die belgischen Bischöfe tun.
Daher erscheint die Weltsynode als letzte Option für Reformbefürworter:innen aus den protestantischen Kernländern, ihre Anliegen vorzubringen. Aber auch dieses Forum wurde ihnen weitgehend verschlossen, wie eine mit den Beratungen vertraute Person sagt. Kirchlich unterlegen, scheint das grosse demokratische Experiment des Synodalen Wegs mausetot.
Aber es gibt trotzdem noch Hoffnung unter den deutschen Laien, von denen sich viele trotzig geben. ZdK-Vize Söding sagt gegenüber POLITICO, er sei zuversichtlich, dass der Synodale Weg weitergehen werde. Ein Treffen des Synodalen Wegs Mitte Juni hat genau wie geplant stattgefunden – dieses Mal ohne päpstliche Intervention.
Die Sache scheint eine Eigendynamik entwickelt zu haben. Selbst wenn der Heilige Stuhl versuchen sollte, die Reformbemühungen einzudämmen, so Söding, ist die Kirche zu fragmentiert, um sie auf Dauer aufzuhalten. . «Rom würde gerne die Kontrolle vom Zentrum aus haben – aber Rom hat diese Kontrolle nicht», sagt er. .
Wer ist der Papst, um über ein Schisma zu urteilen?
Auch im Vatikan scheinen die Reformer:innen einen mächtigen Verbündeten gefunden zu haben. Zwei mit den Gesprächen in Rom vertrauten Personen zufolge ist der zunehmend einflussreiche – und umstrittene – Kardinal Fernandez den Ideen des Synodalen Weges gegenüber offen. Als Verfasser von Fiducia supplicans und somit der möglichen Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, ist Fernandez ein prominenter Verfechter der «Kirche der zwei Geschwindigkeiten».
Diese Idee ist de facto vatikanische Politik geworden, um die grosse Diversität in der Kirche zu überbrücken. Gleichzeitig könnte sie die Kirche buchstäblich auseinanderreissen und eine neue Art von Katholizismus einführen, in dem moralische Urteile zunehmend regionalen Interpretationen unterliegen. Dies liesse die ganze Angelegenheit eher protestantisch aussehen.
In der Praxis aber wäre es für Franziskus ein Weg, wie bei Fiducia supplicans, den Reformer:innen zu geben, was sie wollen – wenn auch mit verzögerter Wirkung und zu seinen eigenen undurchsichtigen Bedingungen.
Es wird gemunkelt, dass Franziskus selbst ein Fan dieser Idee ist. Er soll die «Kirche der zwei Geschwindigkeiten» als einen Weg ansehen, das Lehramt von seiner sexuellen Besessenheit zu befreien und zu einem basisorientierten Ansatz zurückzukehren, der die Macht in die Hände der Ortskirchen legt. In seinem Bemühen, es allen recht zu machen, hat der Papst den Versuch aufgegeben, eine einheitliche, universelle Moral durchzusetzen. Sollten sich die Deutschen oder andere in der Folge dafür entscheiden, sich von Rom zu trennen, wer ist dann Papst Franziskus, um darüber zu urteilen?
POLITICO
Ist ein amerikanisches Onlinemagazin und gehört zu den wichtigsten Medien im Washingtoner Politikbetrieb. Die Journalist:innen rekrutieren sich vor allem aus dem Umfeld der US-amerikanischen Leitmedien Washington Post und Financial Times. Politisch wird das Magazin der amerikanischen Mitte zugeordnet.
Seit 2015 exisitiert POLITICO EUROPE mit Sitz in Brüssel und Büros in Berlin, London und Paris. Chefredakteur ist seit 2021 der ehemalige Leiter der Financial Times Asia, Jamil Anderlini.
Kirchenberichterstattung von POLITICO und POLITICO EUROPE sind säkular und am ehesten vergleichbar mit der NZZ oder FAZ. Die Perspektive POLITICO ist eine dezidiert amerikanische, die in Sachen Katholizismus und Kirchenreform traditioneller ist als im deutschsprachigen Raum. Der hier wiedergegeben Artikel ist daher als «Aussenblick» zu verstehen. (am)